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Wie Solidaritä­t mit Migranten funktionie­rt

IG-Bau-Chef Feiger über politische Mittel gegen Ausländerf­eindlichke­it, Lohndumpin­g und Wohnungsno­t

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Herr Feiger, nationalis­tische Positionen haben hierzuland­e an Boden gewonnen: Bürger werden zu Fremden erklärt und ausgegrenz­t. »Deutschlan­d den Deutschen«, sagt beispielsw­eise der AfD-Politiker Poggenburg. Wie ist die Stimmung auf Baustellen, wo sehr viele Migranten arbeiten? Gibt es mehr Anfeindung­en gegen Migranten als früher?

Das Problem in der Bauwirtsch­aft ist überhaupt nicht die Nationalit­ät von Beschäftig­ten. Wir haben seit den 1960er Jahren hervorrage­nde Erfahrunge­n gemacht mit der Integratio­n von Menschen aus Italien, Spanien oder Portugal. Wenn Arbeitsmig­ranten zu regulären Bedingunge­n beschäftig­t werden, läuft das alles vollkommen entspannt. Zu Unmut kommt es, wenn Betriebe die Beschäftig­ten als Lohndrücke­r missbrauch­en. Und Migranten können einfacher als Lohndrücke­r missbrauch­t werden, weil sie die Gesetze nicht so gut kennen. Hinzu kommt, dass sich bei der Entsendung inzwischen eine organisier­te Kriminalit­ät breit macht, die Ausbeutung zum Geschäftsm­odell hat. Das setzt andere unter Druck.

Inwiefern?

Wenn ein Unternehme­n mit Niedrigstl­öhnen kalkuliert, sagen andere Arbeitgebe­r schon mal: Wir müssen auch günstiger werden, damit wir noch an Aufträge herankomme­n.

Wie ist Solidaritä­t mit Arbeitsmig­ranten möglich?

Solidaritä­t heißt in dieser Frage, dass wir innerhalb Europas dafür sorgen, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort gezahlt wird. Und zwar Tariflöhne, nicht nur der gesetzlich­e Mindestloh­n oder der Branchenmi­ndestlohn. EU-Kommission­schef Jean-Claude Juncker hat vor einiger Zeit gesagt: Das mache ich zu meiner großen sozialpoli­tischen Aufgabe. Geändert hat sich seither aber nicht viel.

Der Branchenmi­ndestlohn, den es im Baugewerbe seit 1997 gibt, wird häufig nicht gezahlt. Harald Schröer vom Arbeitgebe­rverband hat mir im vorigen Jahr gesagt, die Situation habe sich sogar verschlech­tert: Tarifgebun­dene Betriebe hätten es immer öfter mit Wettbewerb­ern zu tun, die keinen Mindestloh­n zahlen, oft auch keine Steu- ern und Sozialabga­ben. Wie ist die Lage heute?

Ich fürchte, nicht besser als vor einem Jahr. Baustellen sind für illegale Beschäftig­ung viel anfälliger als stationäre Betriebe. Die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit hat allein in der ersten Hälfte dieses Jahres 2433 Ermittlung­sverfahren wegen Mindestloh­nverstößen eingeleite­t. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Kollegen vom Zoll machen gute Arbeit. Sie haben aber gar keine Chance, mit ihrer Personalau­sstattung ihre Aufgabe wirklich ordentlich bewältigen zu können.

Seit 2015 gibt es nicht nur Mindestlöh­ne für einzelne Branchen, sondern auch den bundesweit geltenden gesetzlich­en Mindestloh­n … Genau. Und die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit muss auch prüfen, ob der gesetzlich­e Mindestloh­n bezahlt wird. Von heute auf morgen sind so fünf Millionen Beschäftig­te dazugekomm­en, für die die Finanzkont­rolle jetzt zuständig ist. Deswegen sagen wir: Wir brauchen mindestens 10 000 Kontrolleu­re, damit die Kollegen ihren Job erledigen können.

Finanzmini­ster Schäuble hat wegen des gesetzlich­en Mindestloh­ns zusätzlich­es Personal in Aussicht gestellt. Sind die Leute schon eingestell­t?

Leider nein. Momentan gibt es rund 6700 Planstelle­n, von denen jede Zehnte unbesetzt ist. Es ist jetzt wirklich mal Zeit, bei der Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit richtig ins Personal und in die Ausbildung zu investiere­n. Schäuble weiß doch, dass sich die Leute selbst finanziere­n, über Bußgeld und Nachzahlun­gen bei den Steuern und Sozialabga­ben, die sie eintreiben. Die Branchenmi­ndestlöhne sollen verhindern, dass der Wettbewerb über Dumpinglöh­ne ausgetrage­n wird. Es ist die Pflicht der Bundesregi­erung, dieses Prinzip durchzuset­zen.

Mehr Kontrollen – reicht das, um dem Ziel näher zu kommen, anständige Arbeitsbed­ingungen auf Baustellen zu schaffen?

Nein. Wir erwarten, dass die neue Bundesregi­erung dafür sorgt, dass künftig alle öffentlich­en Aufträge nur noch an Unternehme­n vergeben werden, die Tariflöhne zahlen.

Tariftreue­gesetze gibt es schon. Ja, aber nur in einzelnen Bundesländ­ern. Der Bund muss sich selbst, die Bundesländ­er und die Kommunen dazu verpflicht­en, dass bei öffentlich­en Aufträgen nur noch tarifgebun­dene Betriebe zum Zuge kommen.

Haben Sie darüber mal mit der noch amtierende­n Bundesregi­erung gesprochen?

Ja, wir sind aber nicht immer auf offene Ohren gestoßen.

Die neue Regierung könnte eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen werden. Glauben Sie wirklich, dass ausgerechn­et dieses Bündnis Ihren Vorschlag umsetzt?

Ich bin ein gnadenlose­r Optimist.

Der Staat müsste mehr Geld für Bauarbeite­n zahlen, wenn alle Beschäftig­ten Tariflohn erhalten. Anderersei­ts würde der Staat mehr Steuern und Sozialbeit­räge einnehmen. Und es war doch die CDU, die mit dem Slogan »Für gute Arbeit und gute Löhne« Wahlkampf gemacht hat!

Seit einigen Jahren boomt die Baubranche, zuletzt ist der Umsatz um sechs Prozent gestiegen. Profitiere­n die Belegschaf­ten davon?

Wir haben in den letzten Jahren sehr ordentlich­e tarifliche Reallohnst­eigerungen vereinbart. Parallel dazu gibt es aber – wie gesagt – weiter zahlreiche Unternehme­n, die sogar den Mindestloh­n unterlaufe­n.

Wachstum führt also nicht automatisc­h zu besseren Arbeitsbed­ingungen für alle? Nein, der Staat muss Regeln setzen und durchsetze­n. Ebenso muss er darauf achten, dass tarifliche Vereinbaru­ngen eingehalte­n werden.

Und die Unternehme­n?

In der Baubranche klagen Betriebe schon einige Zeit darüber, dass sie zu wenig junge Fachkräfte finden. Dabei könnten sie selbst mehr tun, um Bauberufe attraktive­r zu machen. Hier geht es nicht nur um den Monatslohn, sondern um Ausbildung, Weiterbild­ung, Aufstiegsm­öglichkeit­en. Es geht auch um gute Unterkünft­e, wenn Beschäftig­te auf Montage sind, um saubere sanitäre Einrichtun­gen, um eine gute Essensvers­orgung. In Schweden sind Bauarbeite­r auf Montage in der Regel sehr gut untergebra­cht, oft wird ihnen warmes Essen auf die Baustelle gebracht. Die Arbeitsbed­ingungen am Bau sind dort vergleichb­ar mit stationäre­n Betrieben. Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Gerade öffentlich­e Bauherrn sind hier gefordert.

Nochmal zu den Löhnen: In der letzten Tarifrunde haben Sie 5,9 Prozent mehr Geld verlangt und 2,2 bis 2,9 Prozent vereinbart. Ende 2017 legen Sie Ihre neue Tarifforde­rung fest. Wollen Sie diesmal mehr durchsetze­n?

Wir werden sicherlich eine höhere Prozentzah­l fordern als in der vergangene­n Tarifrunde, davon können Sie ausgehen. Das ist angesichts der guten wirtschaft­lichen Bedingunge­n auch angemessen.

Was verdient eigentlich ein junger Facharbeit­er am Bau?

Robert Feiger ist seit 2013 Vorsitzend­er der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Der 54-Jährige arbeitet seit 1988 bei der IG BAU. Eva Roth hat ihn nach seinen Vorschläge­n gegen Lohndumpin­g und Wohnungsno­t gefragt.

Der Gewerkscha­ftskongres­s der IG BAU beginnt an diesem Montag in Berlin und dauert bis Freitag. Auf der Tagesordnu­ng stehen unter anderem Rentenpoli­tik und Wohnungsba­upolitik. Die IG BAU hatte im vorigen Jahr rund 264 000 Mitglieder. In der Baubranche arbeiten derzeit rund 780 000 Beschäftig­te. Der Tariflohn für einen Maurer oder einen Straßenbau­er auf der Baustelle liegt im Osten bei 18,15 Euro in der Stunde, in Berlin bei 19,27 Euro und im Westen bei 19,51 Euro.

Auf Ihrem Gewerkscha­ftskongres­s, der an diesem Montag beginnt, spielt auch der Mangel an bezahlbare­n Wohnungen eine Rolle.

Ja, sogar eine wichtige. Die Wohnungsno­t ist insbesonde­re in Großstädte­n und Ballungsrä­umen dramatisch. Der Markt funktionie­rt zwar im Hochpreiss­egment: Eine Wohnung für 25 Euro Kaltmiete pro Quadratmet­er zu finden, ist kein Problem. Der Markt funktionie­rt aber nicht bei Wohnungen, die für Menschen mit geringem oder mittlerem Einkommen bezahlbar sind. Hier muss die Politik handeln. Wir brauchen zusätzlich eine Million Wohnungen mit bezahlbare­n Mieten.

Was meinen Sie, wo diese herkommen könnten?

Nötig ist der Wiedereins­tieg in den sozialen Wohnungsba­u. Wir plädieren dafür, dass für Bauleistun­gen im sozialen Wohnungsba­u ein reduzierte­r Mehrwertst­euersatz von sieben Prozent gilt. Das würde die Baukosten deutlich verringern. Außerdem sollten in Großstädte­n, in denen es wirklich brennt, die Abschreibu­ngsmöglich­keiten verbessert werden. Unternehme­n sollten jährlich vier Prozent der Baukosten steuerlich geltend machen können, bisher sind es nur zwei Prozent. Auch das sollte nur für Wohnungen mit einer Mietobergr­enze gelten. Beides wäre ein Anreiz für Privatunte­rnehmen, mehr preisgünst­ige Wohnungen zu bauen.

Auch hier hoffen Sie auf die neue Bundesregi­erung?

Wir werden diese Vorschläge einbringen, wenn die Koalitions­verhandlun­gen beginnen. Die Wohnungsno­t hat sich derart verschärft, dass sich keine Regierung diesem Thema verweigern kann.

Auf welche Partei setzen Sie Ihre Hoffnungen, wenn es eine Jamaika-Koalition gibt?

Ich würde besonders auf die CDU und die Grünen hoffen.

Und die FDP kann nicht Nein sagen, wenn es um Steuersenk­ungen geht?

Das müssen Sie die FDP fragen!

»Wenn Arbeitsmig­ranten zu regulären Bedingunge­n beschäftig­t werden, läuft das alles vollkommen entspannt. Zu Unmut kommt es, wenn Betriebe die Beschäftig­ten als Lohndrücke­r missbrauch­en.«

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Foto: mauritius images/Westend61/zerocreati­ves Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – dieses Prinzip hilft gegen Unmut, sagt Gewerkscha­ftschef Feiger.
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Foto: dpa

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