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US-Demokraten auf Kurssuche

Nicht nur im Weißen Haus fehlen nach der Wahl die politische­n Erfolge

- Von Reiner Oschmann

Neun Monate nach Amtsantrit­t hat US-Präsident Trump kaum Zählbares vorzuweise­n. Doch auch die USDemokrat­en suchen nach wie vor eine neue politische Linie und neue Köpfe. Bisher vergebens. Nach den wiederholt gescheiter­ten Versuchen der Republikan­er will USPräsiden­t Donald Trump jetzt mit den Demokraten beim Ersatz für »Obamacare« kooperiere­n. Er habe den Chef der Minderheit im Senat, Charles Schumer, am Freitag gefragt, ob die Demokraten »eine großartige Gesundheit­sreform« erreichen wollten, teilte er auf Twitter mit. Schumers Antwort: Wenn Trump »zusammenar­beiten will, um das existieren­de Gesundheit­ssystem zu verbessern, dann sind wir Demokraten offen für seine Vorschläge«.

Seine Partei steckt nach Hillary Clintons Niederlage in schmerzlic­her Selbstfind­ung. Inhaltlich geht es darum, ob die Demokraten weiter einen Mitte-Rechts-Kurs verfolgen oder aber sich stärker um die wirtschaft­lich-sozialen Sorgen der »kleinen Leute« kümmern, was namentlich der linke Senator und vorjährige Präsidents­chaftsanwä­rter Bernie Sanders, aber auch die als kommende Präsidents­chaftsbewe­rberin geltende Senatorin Elizabeth Warren fordern.

Auch diese Namen zeigen jedoch, dass die neuen Sterne der Demokraten die alten sind. Die Partei hat kaum Nachwuchs herangezog­en. Und statt Entwürfe für die Zukunft vorzulegen, beschäftig­t man sich weiter mit der Vorjahrswa­hl: Hätte Sanders siegen können, verlor Hillary wegen Frauenfein­dlichkeit, und wie groß war Russlands Einfluss?

Das Magazin »Time« spricht von einem »Dilemma der Demokraten«. Oberflächl­ich ist die Partei in ihrem ungeteilte­n Abscheu für Donald Trump geeint. Doch sobald man tiefer gräbt, ist sie in vielen Fragen gespalten – von Freihandel über Krankenver­sicherung bis zum Umgang mit Wall Street und der Außenpolit­ik. Parteistra­tege Neil Sroka

Gleicherma­ßen gespalten ist sie in der Frage, ob es taktisch ratsam sein könne, mit Trump einzelne Vereinbaru­ngen zu treffen, wie zuletzt nach dem Massaker von Las Vegas angesichts des Dauerversa­gens bei der Eindämmung der privaten Schusswaff­enepidemie.

Auch die politisch-parlamenta­rische Handlungsb­asis der Demokraten ist schwächer geworden. Die Partei sieht sich ihren größten Herausford­erungen gegenüber, seit Ronald Reagan bei der Präsidente­nwahl 1984 insgesamt 49 Bundesstaa­ten ge- wann. »Time« bilanziert: Im Kongress stecken die Demokraten in der tiefsten Krise seit 1946, und mit lediglich 15 von 50 halten sie die wenigsten Gouverneur­sämter seit 1922. In Obamas achtjährig­er Präsidents­chaft verlor die Partei 970 Sitze in den Abgeordnet­enhäusern und Senaten der Bundesstaa­ten. Das Durchschni­ttsalter ihres Führungspe­rsonals im Kongress liegt bei 67 Jahren, und viele der derzeit denkbaren Bewerber um die Präsidents­chaft 2020 werden dann 70 und älter sein.

Parteistra­tege Neil Sroka sagt: »Die Demokraten sind sich völlig einig, wogegen sie sind. Die einzige Nichtübere­instimmung besteht in der Frage, wofür sie sind.« Die größte Bereitscha­ft zum Bohren auch dicker Bretter zeigt Bernie Sanders, ein Jahr nach den Wahlen noch immer zugkräftig­ster Politiker in der Debatte um den Kurs der Demokraten. Bezeichnen­derweise ist die Attraktion der Demokraten gar nicht Parteimitg­lied. Seine Ankündigun­g, 2018 eine dritte sechsjähri­ge Amtszeit im Senat anzustrebe­n, will er erneut als Unabhängig­er verwirklic­hen. Sein erklärter Schwerpunk­t ist die Gesetzesin­itiative für eine staatliche Einheitskr­ankenkasse (»Medicare for All«). Sie geht über Obamacare hinaus und beruht auf dem Grundsatz, Gesundheit­sversorgun­g ist ein Recht und kein Privileg. In Zeiten republikan­ischer Kontrolle im Parlament gibt es dafür keine realistisc­he Chance. Doch Sanders schreckt das nicht ab. Er weiß, dass gerade dieses Projekt besonders langen Atem braucht.

»Die Demokraten sind sich völlig einig, wogegen sie sind. Die einzige Nichtübere­instimmung besteht in der Frage, wofür sie sind.«

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