Der ramponierte CO2-Speicher
Regenwälder verlieren laut einer neuen Studie ihre Funktion als »grüne Lunge« der Erde
Laut einer neuen Studie sind Tropenwälder mittlerweile so stark geschädigt, dass sie in der Summe keinen Kohlenstoff mehr aufnehmen, sondern CO2 abgeben. Waldschutz ist wichtiger denn je.
Die tropischen Regenwälder fungieren als »grüne Lunge« der Erde, denn sie speichern riesige Mengen an Kohlendioxid, das ansonsten in die Erdatmosphäre entweichen würde. Doch laut einer kürzlich in der Fachzeitschrift »Science« erschienenen Studie sind die Wälder mittlerweile schon so zerstört, dass sie mehr Kohlenstoff freisetzen, als sie aufnehmen können. Netto sind es 425 Millionen Tonnen Kohlenstoff im Jahr.
US-Forscher der Universität Boston und des Woods Hole Research Center haben für ihre Untersuchung Satellitendaten mit Daten aus Vor-Ort-Messungen kombiniert und so errechnet, wie viel Kohlenstoff die Tropenwälder im Zeitraum 2003 bis 2014 aufgenommen und abgegeben haben. Ergebnis: Die Wälder in Südamerika, Afrika und Asien haben pro Jahr 437 Millionen Tonnen Kohlenstoff aufgenommen, aber abgegeben haben sie 862 Millionen Tonnen. Das Unerwartete: Fast 70 Prozent der Verluste sind demnach nicht auf die massive Abholzung zurückzuführen, sondern auf kleine Störungen und Degradation – also auf Waldschäden, die zu einer geringeren Kohlenstoffdichte führten.
»Es ist mitunter schwierig, Wälder zu kartieren, die schon komplett abgeholzt sind«, sagt Studien-Mitautor Wayne Walker vom Woods Hole Research Center in Massachusetts. »Es ist aber noch viel schwieriger, kleine und subtilere Verluste von Wald zu messen.« Denn der Satellit »sieht« von oben nur grünen Wald, egal ob unter dem Blätterdach viel oder wenig wächst. Dass die Forscher trotzdem wissen, was darunter geschieht, liegt an ihrer Methode: Sie bezogen Feldstudien in ihr Modell ein, die zeigten, dass kleinräumige Waldschäden in den Regenwaldzonen von großer Bedeutung sind: »In den Tropen werden häufig nur bestimmte Baumarten gefällt oder Kleinbauern fällen einzelne Bäume, um Brennholz zu haben. Diese Verluste sind an einzelnen Orten sehr klein, aber über eine große Fläche betrachtet sind sie ganz beträchtlich«, so Walker.
Dass die Tropenwälder mittlerweile eine »Netto-CO2-Quelle« sind, ist für Michael Köhl, Professor für Weltforstwirtschaft an der Universität Hamburg, keine Überraschung: »Schon im Stern-Report (im Auftrag der briti- schen Regierung wurden 2006 erstmals die Folgen der Erderwärmung untersucht, d. Red.) stand, dass die Abholzung der Tropenwälder für 20 Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich ist.« Dass die Wissenschaft kleinräumige Waldschäden bisher übersehen habe, stimme nicht: Um beispielsweise für das UN-Waldschutzprogramm REDD+ den Kohlenstoff-Gewinn oder -Verlust einer Fläche zu berechnen, werde auch vor Ort bestimmt, wie viel die dort wachsenden Bäume gespeichert haben.
Außerdem hält Köhl den 70-Prozent-Anteil der Degradierung für zu hoch gegriffen. »Immerhin werden jährlich weltweit elf Millionen Hek- tar Wald in andere Nutzungen umgewandelt«, so der Wissenschaftler. Die Gesamttendenz, dass die Tropen immer weniger Kohlenstoff speichern können, stimme aber.
Nicht zu widersprechen ist auch der Hauptbotschaft der neuen Studie: »Wenn wir nicht wollen, dass die globalen Temperaturen auf ein gefährliches Niveau ansteigen, müssen wir die CO2-Emissionen drastisch reduzieren und die Fähigkeit der Wälder vergrößern, Kohlenstoff aufzunehmen und zu speichern«, wie Hauptautor Alessandro Baccini erklärt. »Wälder sind unsere einzige Kohlenstoff speicher - › Technologie ‹, die sicher, nicht zu teuer und sofort verfügbar ist. Außerdem haben Wälder positive Nebeneffekte: Sie regulieren den Regen und sind Heimat für Indigene.« Die Ergebnisse der Studie könnten Regierungen und Interessenvertretern der in und von den Tropenwäldern lebenden indigenen Bevölkerung dabei helfen herauszufinden, wie sie die Ziele des Pariser Klimaabkommens am besten erreichen können, schreiben die Forscher.
Die Studie macht auch deutlich, wie wichtig die Rolle der Tropenwälder beim Klimaschutz ist. Denn umgekehrt bedeutet das Ergebnis: Ein Ende der Abholzung und der Schädigung der Wälder würde die CO2Emissionen um bis zu 862 Tonnen pro Jahr reduzieren.