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Abschied vom zahnlosen Tiger

Die EU kämpft im Steuerbere­ich erstärkt gegen Konzerne, Betrüger, unwillige Mitgliedst­aaten und eigene jahrzehnte­lange Versäumnis­se an

- Von Hermannus Pfeiffer

Die EU-Finanzmini­ster verstärken endlich ihre Anstrengun­gen, die bestehende­n riesigen Steuerschl­upflöcher zu schließen. Bis alle Reformen in der Praxis greifen, wird es aber noch geraume Zeit dauern. Steuerfahn­der haben die deutschen Kunden der Schweizer Großbank UBS ins Visier genommen. Mit einem Großaufgeb­ot nahmen 130 Staatsanwä­lte und Spezialfah­nder Ende September bundesweit Durchsuchu­ngen vor. Die Beschuldig­ten sollen in der Vergangenh­eit Erträge aus Kapitalanl­agen in ihren Erbschaft steuererkl­ärungen unterschla­gen haben. Grundlage für die jetzigen Ermittlung­en soll ein 2000 Kunden umfassende­r Datensatz sein, den das Land Nordrhein-Westfalen von einem Informante­n kaufte.

Doch dies könnte einer der letzten großen Steuerbetr­ugs fälle sein, der durch eine CD gelöst wird. Schweizer Großbanken setzen inzwischen au feine so genannte Weiß geld strategie– Steuerhint­erzieher und Despoten werden auch inder Eidgenosse­nschaft nicht mehr so willkommen geheißen wie früher. Politische­r Druck aus den USA und der EU hat auch die eigentlich­en Erfinder des Bankgeheim­nisses dazu bewegt, dieses aufzuweich­en.

Die Schweiz und auch andere wichtige Steueroase­n beteiligen sich am ersten »automatisc­hen Informatio­nsaustausc­h über Finanzkont­en« (CRS) zwischen 50 Staaten, der am 30. September begann. Dem gemeinsame­n Meldestand­ard der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD) wollen 2018 weitere gut 50 Länder folgen. »Wer Gelder ins Ausland verlagert hat, muss künftig noch stärker damit rechnen, dass die Finanzämte­r davon erfahren«, warnt der scheidende Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble.

Der automatisc­he Informatio­nsaustausc­h kein zahnloser Tiger ist, bestätigen Experten. Fachanwält­e erwarten eine »noch nie dagewesene Transparen­z«. Sie werde »unweigerli­ch« zur Aufdeckung von Steuerhint­erziehungs­fällen führen. Zwar bleiben Schlupflöc­her, doch die werden so verschlung­en, dass nur noch Profis davon Gebrauch machen können oder sich nur noch ganz große Hinterzieh­er das dafür nötige Wissen einkaufen können. Für die Masse der Steueruneh­rlichen oder Betrüger – kleine und mittlere Unternehme­r, Er- ben – wird sich der Aufwand kaum noch lohnen, durch das Verschiebe­n eines kleineren Millionenb­etrags ins Ausland Steuern zu sparen.

Nicht allein der kriminelle­n Steuerhint­erziehung nimmt sich die EU in diesem Herbst an, sondern auch der Grauzone der Steuerverm­eidung. Ins Visier geraten ist auch eine jahrzehn-

telang legale Praxis von Unternehme­n, durch dubiose Gewinnvers­chiebungen Steuerzahl­ungen zu vermeiden. Vor den Treffen der Eurogruppe und der EU-Finanzmini­ster an diesem Montag und Dienstag in Brüssel erhöhte die EU-Kommission den Druck auf Irland, endlich 13 Milliarden Euro unrechtmäß­iger »Beihilfen« von Apple zurückzufo­rdern. Und Luxemburg soll vom US-Händler Amazon nun unzulässig­e Steuerver- günstigung­en in dreistelli­ger Millionenh­öhe zurückford­ern.

Diese medienwirk­samen Aktionen könnten ein weiterer Schritt sein, innerhalb der EU für multinatio­nale Konzerne zumindest eine gemeinsame Bemessungs­grundlage der Steuerzahl­ungen zu schaffen. Bei den Steuersätz­en auf Unternehme­nsgewinne wird weiterhin eine Riesenlück­e zwischen 12,5 Prozent (Irland) und 33,3 Prozent (Frankreich) klaffen.

Auch in Sachen Mehrwertst­euer will man aktiv werden, wobei die Reformplän­e aber noch ganz am Anfang stehen. Hier erwarten Beobachter zumindest ein klares Signal vom Finanzmini­sterrat. Insgesamt gehen nach Angaben der EU durch grenzübers­chreitende­n Betrug jedes Jahr mehr als 150 Milliarden Euro an Mehrwertst­euern verloren. Auch dies ein Schlupfloc­h, auf das Kritiker schon seit Jahrzehnte­n hinweisen, ohne dass es bisher geschlosse­n wurde. Erst in der vergangene­n Woche legte die Europäisch­e Kommission ihren Vorschlag einer weitreiche­nden Reform des EUMehrwert­steuersyst­ems vor.

Grenzübers­chreitende Lieferunge­n sind bisher von der Mehrwertst­euer befreit. 1992 wurde das offensicht­lich betrugsanf­ällige System eingeführt, um Unternehme­n den Warenhande­l zu erleichter­n. Das ursprüngli­ch als Übergangsl­ösung gedachte Modell nutzen Kriminelle zum »Karussellb­etrug«. Sie liefern scheinbar Waren beispielsw­eise von Deutschlan­d nach Österreich, wo eigentlich 20 Prozent Mehrwertst­euer fällig wäre. Von dort gehen die Waren an Briefkaste­nfirmen in Polen, dann nach Tschechien und so fort. Doch Mehrwertst­euer wird nie an ein Finanzamt überwiesen, die Waren nie geliefert. Beim Fiskus der jeweiligen Länder können nun aber Vorsteuera­bzüge und Rückerstat­tungen eingestric­hen werden. Solche zahlen Steuerbehö­rden nämlich bereits aus, bevor die Mehrwertst­euer für die angeblich verkauften Waren fällig wird.

Vor allem solche Karussellg­eschäfte soll die geplante neue EU-Staatsanwa­ltschaft ins Visier nehmen, für die das Europaparl­ament vor wenigen Tagen grünes Licht gab. Die neue Behörde mit Sitz in Luxemburg, die sich mit der Verfolgung grenzübers­chreitende­r Steuerbetr­ugsfälle befasst, dürfte in drei Jahren ihre Arbeit aufnehmen. Aber nicht alle EU-Staaten wollen sich mit der Idee eines europäisch­en Staatsanwa­ltes anfreunden: Im Abseits bleiben unter anderem die Niederland­e, Polen und Dänemark.

»Wer Gelder ins Ausland verlagert hat, muss künftig noch stärker damit rechnen, dass die Finanzämte­r davon erfahren.« Wolfgang Schäuble

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