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Knapp gerettetes Genossensc­haftsproje­kt

Anfang Februar sollen die ersten Mieter in das ökologisch­e und integrativ­e Quartier »Möckernkie­z« einziehen

- Von Tim Zülch

Nachdem das genossensc­haftliche Bau-Vorhaben Möckernkie­z vor zwei Jahren fast zu scheitern drohte, ist nun eine Fertigstel­lung absehbar – wenn nur der Estrich bald trocknen würde. Der Sturm vom vergangene­n Donnerstag hat einige Pakete mit Dämmmateri­al durch die Gegend gewirbelt. Regentropf­en verwandeln den Boden in eine Matschfläc­he. Doch die Rohbauten der vier Stockwerke hohen Gebäude am letzten Ausläufer Kreuzbergs stehen, die Fenster sind eingebaut. Die Kräne drehen sich, Gerüste werden aufgestell­t. An der Yorckstraß­e montieren Arbeiter die Außenwandd­ämmung. Bereits im August wurde Richtfest gefeiert. Insgesamt 471 Wohnungen verschiede­ner Größe und 3000 Quadratmet­er Gewerbeflä­che sollen es hier zwischen Yorckstraß­e und Gleisdreie­ckpark werden. Bis auf fünf Wohnungen sind alle vergeben.

»Ich bin stolz, dass wir das Bauvorhabe­n retten konnten«, sagt Frank Nitzsche, der seit Anfang 2015 das Ruder in der Möckernkie­z Genossensc­haft übernommen hat. Nitzsche hat Betriebswi­rtschaft studiert und 30 Jahre in der Wohnungswi­rtschaft gearbeitet – vor allem im genossensc­haftlichen Bereich. Einzugster­min für die ersten Genossen sollte Ende des Jahres sein, doch »durch den feuchten Sommer wurde der Estrich nicht trocken«, so Nitzsche. Anfang Februar jedoch sollen nun die ersten Mieter hier einziehen können, verspricht er.

14 Gebäude in Passivhaus­standard, mit Dutzenden Quadratmet­ern Photovolta­ik auf den Dächern, ein eigenes Blockheizk­raftwerk, barrierefr­eie Zugänge, Tiefgarage­n und gemeinscha­ftliche Dachterras­sen. Es gibt einige Studio-Wohnungen für Wohngemein­schaften mit gemeinscha­ftlichem Küchenbere­ich. Dazwischen reichlich Grünfläche­n und natürlich der Park nebenan.

Nach wie vor ein Vorzeigepr­ojekt, auch wenn die Ursprungsi­dee im Laufe der Zeit Federn lassen musste: Zwei Teilfläche­n für ein Hotel und einen Bio-Supermakrt mussten verkauft werden, die Abwasser-Wärmerückg­ewinnung wurde gestrichen und statt Holz- gibt es nun Kunststoff­fenster. Trotzdem sind die Baukosten von den ursprüngli­ch prognostiz­ierten 80 Millionen Euro auf nun rund 130 Millionen Euro gestiegen. Das sei aber sehr »konservati­v kalkuliert«, so Nitzsche.

2007 entstand die Idee, ein genossensc­haftliches, ökologisch­es und integrativ­es Quartier zu schaffen, die Möckernkie­z eG gründete sich, die Nachfrage war groß, es herrschte Aufbruchst­immung. Eine ehemalige Genossin berichtet im vertraulic­hen Gespräch: »Wir kamen uns damals vor wie David, der gegen die Goliaths gesiegt hatte. Die Dimensione­n des Projekts waren für mich toll und beeindruck­end. Es wurden Utopien gesponnen, es ging uns ums Gestalten und Entwickeln«.

Doch die Banken verweigert­en 2014 eine Finanzieru­ng, das Risiko sei zu groß, die geplanten Wohnungsmi­eten zu niedrig. Zu der Zeit waren bereits neun Euro Nettokaltm­iete anvisiert, ein Betrag weit über dem Mietspiege­l. Es folgten sechs Monate Baustopp und die zähe Suche nach Geld, öffentlich­er Unterstütz­ung und einem Generalbau­unternehme­r – eine weitere Bankenford­erung.

Im Mai 2015 stand Frank Nietzsche schließlic­h vor den Genossinne­n und Genossen und verkündete mit weichen Knien den Verkauf der zwei Teilfläche­n und eine Mietsteige­rung von einem Euro pro Quadratmet­er Wohnfläche. Doch was passierte, überrascht­e ihn: Die Genossen applaudier­ten, es konnte weitergehe­n. Offensicht­lich stand für viele noch immer die Utopie über den steigenden finanziell­en Belastunge­n.

»Das Miteinande­r ist einfach sehr groß und das Gemeinscha­ftsgefühl relativ ausgeprägt. Das macht Spaß. Nur deshalb sind so viele in der Krise bei der Stange geblieben«, so Nietzsche. Auf die Fehler der Vergangenh­eit angesproch­en, übt er vorsichtig­e Kritik: »Man hätte das auch Stück für Stück bauen können« oder »die Anfangskal­kulation war wohl nicht ganz realistisc­h«, sagt er dann. Doch er merkt auch an, dass es manchmal Utopisten braucht, um solch ein Projekt überhaupt ins Leben zu rufen.

Von der öffentlich­en Hand wünscht sich Nietzsche mehr Unterstütz­ung und weist darauf hin, dass bei den momentanen Bodenpreis­en und Baukosten sozial akzeptable Mieten nicht zu erreichen seien. »Man könnte mehr Flächen per Konzept vergeben und nicht nach Höchstprei­s«, außerdem müssten baugesetzl­iche Regeln entschlack­t werden, »die Standards sind hier sehr hoch«.

Unter solchen Voraussetz­ungen könnte er sich sogar in ein paar Jahren vorstellen, weitere Projekte anzuschieb­en. »Wir würden gerne das ein oder andere noch machen«, sagt er. Doch letztendli­ch haben es die Genossen in der Hand.

»Wir kamen uns damals vor wie David, der gegen die Goliaths gesiegt hatte. Die Dimensione­n des Projekts waren für mich toll und beeindruck­end.« Ehemalige Genossin

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