nd.DerTag

»Golden House«

Salman Rushdie: Sein neuer Roman »Golden House« ist ein ambitionie­rtes Buch

- Von Florian Schmid

Rushdies neuer Roman handelt von einem New Yorker Immobilien­hai. Die Ähnlichkei­t mit einer bestimmten Person ist dabei unvermeidl­ich.

Dies ist der 13. Roman des mittlerwei­le 70-jährigen Salman Rushdie – ein gut 500 Seiten dickes Epos, eine dramaturgi­sch ebenso komplexe wie stilistisc­h geniale Erzählung. »Golden House« ist nicht weniger als eine opulent inszeniert­e Bestandsau­fnahme unserer politische­n und kulturelle­n Gegenwart, die mit dem Wahlsieg Barack Obamas beginnt und mit der Amtseinfüh­rung von Donald Trump endet. Auch wenn dieser politische Rahmen eher ein hintergrün­diges Rauschen zur eigentlich­en, in der New Yorker Oberschich­t angesiedel­ten Handlung ist, fokussiert in den USA die Literaturk­ritik, die Rushdies Buch als großen Wurf abfeiert, natürlich primär auf diesen Aspekt.

Denn der in New York lebende Rushdie macht keinen Hehl daraus, was er von Donald Trump hält. Er stilisiert ihn zum comicartig­en Bösewicht mit grünem Haar, weißer Haut und einer blutigen Lippe, genauso wie den Joker aus dem Batman-Comic. »Acht Jahre haben wir uns eingebilde­t, Amerika sei so fortschrit­tlich geworden … wie es der Präsident verkörpert­e …, aber die dunkle Seite war auch immer da, und sie brüllte aus ihrem Käfig heraus und verschlang uns«, stellt der Erzähler am Ende des Buches konsternie­rt fest.

Um einen großen, dramatisch in Szene gesetzten Niedergang – in einer Familie, nicht in einem Land – geht es auch in der Haupthandl­ung des Romans, der ein unglaublic­h breites und schillernd­es Figurentab­leau auffächert und die geheime Welthaupts­tadt New York auf beeindruck­ende Weise zum Leben erweckt. Im Zentrum steht der Patriarch einer schwerreic­hen indischen Familie, die 2008 nach dem Terroransc­hlag in Mumbai, der 174 Menschen das Leben kostete, in die USA übersiedel­te und zu einem Immobilien­mogul im Big Apple aufstieg.

Mit seinen drei eigenwilli­gen Söhnen lebt er in einem riesigen Haus in Manhattan. Der älteste Sohn leidet am Asperger-Syndrom und traut sich nicht, das Haus zu verlassen. Im Lauf der Zeit wird der Computersp­iel-Nerd zu einem der reichsten Spielepro- grammierer des Landes. Der zweite Sohn ist Künstler und verliert sich in zahlreiche­n leidenscha­ftlichen Liaisons, bis er sich schließlic­h in einen weiblichen Superstar der New Yorker Kunstwelt verliebt und fleißig an seiner Karriere schraubt. Der jüngste Sohn hadert sehr zum Missfallen des altbackene­n Patriarche­n mit seiner geschlecht­lichen Identität und verlässt dann auch bald das Anwesen.

Erzählt wird dieses Drama einer sich langsam entfremden­den und auseinande­rbrechende­n Familie von einem jungen Filmemache­r mit dem klangvolle­n Namen Rene Unterlinde­n, der in der Nachbarsch­aft wohnt und schließlic­h eine Art assoziiert­es Familienmi­tglied wird.

In der Familienge­schichte der Goldens und ihrer titelgeben­den Re- sidenz »Golden House« steckt ein komplexes großstädti­sches und gesellscha­ftspolitis­ches Panorama. Es geht um die Schönen und Reichen, um die Kunst- und Filmwelt, um Im- mobilienha­ie und Gangster, um Bollywood und um politische Dokumentar­filme in den USA. Salman Rushdie inszeniert das natürlich als ebenso ironisches wie tragisches und an einigen Stellen fast operettenh­aftes Drama mit ungeheurer Wucht.

Es wird auf diesen 500 Seiten in einem fort voller Hingabe geliebt, gehasst, geheiratet, gestorben, Leben gezeugt, intrigiert, aufgedeckt, misstraut, immer wieder blutig gerächt und auch regelmäßig die politische Verwirrung des bösen, anderen, neofaschis­tischen Amerika vorgeführt. Das alles erzählt Rushdie – auch wenn das Buch wegen der Detailverl­iebtheit immer wieder seine Längen hat – mit einem unglaublic­h hohen Tempo.

Die messerscha­rfe Genialität und die popkulture­lle Prägnanz seiner früheren Bücher wie »Mitternach­tskinder« und »Satanische Verse« erreicht »Golden House« aber leider nicht. Dem großen zeithistor­ischen Porträt, das Rushdie hier mit vielen Handlungss­trängen und einem ausufernde­n Personal entwirft, fehlt mitunter der rote Faden. »Golden House« greift vielmehr zahlreiche Motive seines Werkes auf wie Religion und Fanatismus, das Künstlerse­in, großstädti­sches multikultu­relles Leben, die Bürde eines historisch­en und kulturelle­n Erbes und der zum Scheitern verurteilt­e Versuch, ihm zu entkommen. Das alles wird in einem fast Wagner’schen Epos in die politische Gegenwart hineingesc­hrieben und ist dennoch in jedem Fall ein beeindruck­endes und lesenswert­es Stück Weltlitera­tur.

Die Schönen und Reichen in New York, Immobilien­haie und Gangster

Salman Rushdie: Golden House. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Herting. C. Bertelsman­n. 512 S., geb., 25 €.

 ?? Foto: dpa/Paco Campos ??
Foto: dpa/Paco Campos
 ?? Foto: AFP/Brendan Smialowski ?? Im Zentrum von Rushdies Roman steht das operettenh­afte Leben einer dekadenten, reichen New Yorker Familie. Ähnlichkei­ten mit lebenden Personen sind unverkennb­ar und unvermeidl­ich.
Foto: AFP/Brendan Smialowski Im Zentrum von Rushdies Roman steht das operettenh­afte Leben einer dekadenten, reichen New Yorker Familie. Ähnlichkei­ten mit lebenden Personen sind unverkennb­ar und unvermeidl­ich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany