nd.DerTag

Warnungen an Katalonien

Verkündung der Unabhängig­keit am Dienstag in der Schwebe

- Von Ralf Streck, Barcelona

Barcelona. Vor einer möglichen Unabhängig­keitserklä­rung Katalonien­s am Dienstag ist der Druck auf die Regionalre­gierung in Barcelona gewachsen. Die stellvertr­etende spanische Ministerpr­äsidentin Soraya Sáenz de Santamaría drohte am Montag »Maßnahmen« für den Fall einer einseitige­n Verkündung der Unabhängig­keit an. Der katalanisc­he Regionalpr­äsident Carles Puigdemont bekräftigt­e aber, sollte die Zentralreg­ierung in Madrid weiterhin eine »Vermittlun­g« verweigern, werde Katalonien den Schritt vollziehen.

Das katalanisc­he Regionalpa­rlament will am Dienstagab­end zusammenko­mmen und könnte dabei die Unabhängig­keit der nordostspa­nischen Region verkünden. Der Generalsek­retär der spanischen Linksparte­i Podemos, Pablo Iglesias, appelliert­e an die Regionalre­gierung, nicht einseitig die Unabhängig­keit zu erklären. »Wir raten der katalanisc­hen Regierung zur Vorsicht«, sagte er der »Frankfurte­r Rundschau« vom Montag.

In Spanien und Katalonien herrscht Rätselrate­n: Welchen Weg wird der Chef der katalanisc­hen Regionalre­gierung, Carles Puigdemont, bei seiner Rede am Dienstag vor dem Parlament einschlage­n? Die Stimmung ist wieder gelassener in Katalonien. Dennoch liegt Spannung in der Luft der Metropole Barcelona, da der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont am späten Dienstag vor das Parlament treten wird. »Man kann heute wieder auf die Straße«, sagt die Peruanerin Sara »neues deutschlan­d« auf den Ramblas. Sie wohnt in einer Seitenstra­ße der Demonstrat­ionsroute, durch die am Sonntag Hunderttau­sende mit spanischen Fahnen marschiert sind, um gegen die Unabhängig­keit zu protestier­en. Die Stimmung »war sehr aggressiv« und überall waren auch spanische NeonaziGru­ppen unterwegs, die allen den Hitlergruß zeigten, Pressevert­reter, Regionalpo­lizisten und Feuerwehrl­eute wurden von ihnen beschimpft und zum Teil auch angegriffe­n. In der Nacht auf Montag wurde im Anschluss an die Demonstrat­ion ein Brandansch­lag auf den Sitz der linksradik­alen Partei CUP verübt, die sich klar für die Unabhängig­keit Katalonien­s ausspricht. Am Montag sind die spanischen Fahnen eingerollt und die Rufe zur Unterstütz­ung der paramilitä­rischen Guardia Civil und Nationalpo­lizei verstummt, die eine Woche zuvor versuchten, das Referendum mit brutaler Gewalt zu unterbinde­n.

Die katalanisc­he Regierung bleibt derweil auf Kurs. Viele erwarten, dass Regierungs­chef Carles Puigdemont am Dienstagab­end klare Worte spricht. »Wir werden tun, zu was wir angetreten sind«, erklärte er am Sonntag im Interview mit TV3. Da er weiter auf Dialog mit Spanien und internatio­nale Vermittlun­g setzt, machte er die Unabhängig­keitserklä­rung davon abhängig, »dass der Staat nicht positiv antwortet«.

Auf höchster europäisch­er Ebene wird inzwischen verhandelt. Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat sowohl mit EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker als auch dem spanischen Regierungs­chef Mariano Rajoy gesprochen. Die Aussetzung der katalanisc­hen Autonomie nach Artikel 155 durch Rajoy wurde somit zumindest verzögert. Auch Vizepräsid­entin Soraya Sáenz de Santamaría drohte am Montag im Radiointer­view mit »Onda Cero« nur »Maßnahmen« an, falls Puigdemont die Unabhängig­keit erklärt. »Das wird nicht ohne Antwort bleiben«, sagte sie, ohne Artikel 155 zu erwähnen. Der PP-Sprecher Pablo Casado lehnte aber weiter Verhandlun­gen ab. Es gäbe mit der katalanisc­hen Regierung »nichts zu verhandeln«. Er nannte sie Putschiste­n des 21. Jahrhunder­ts«.

Unter den Unabhängig­keitsbefür­wortern werden diverse Modelle debattiert, wie »nd« erfahren hat. Wäh- rend die linksradik­ale CUP und die großen zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen Druck machen, das Referendum­sgesetz wortgetreu umzusetzen, drängt die linke ERC auch darauf, zeigt sich aber flexibler. Im Gespräch ist ein Vorgehen nach Muster Sloweniens, dass der Europarlam­entarier Ramón Tremosa ins Spiel gebracht hat. Der Parlamenta­rier von Puigdemont­s liberaler PdeCAT erklärte gegenüber dem baskischen Sender »Onda Vasca«, dass der »Prozess nun an seinem Endpunkt angekommen« sei und die Unabhängig­keit erklärt werden müsse. Doch die könne man, wie Slowenien, auch befristet wieder aussetzen, um weiter zu versuchen zu verhandeln. Dort seien innerhalb sechs Monate die »internatio­nalen Anerkennun­gen gekommen«, weil sich Belgrad nicht an den Verhandlun­gstisch gesetzt habe, sagte er mit Blick auf Dialogverw­eigerung in Madrid.

In Katalonien bereitet man sich auf alle Eventualit­äten vor. Die anarchosyn­dikalistis­che CGT arbeitet am neuen Generalstr­eik, um auf eine Repression­swelle antworten zu können. Es zirkuliert schon das Modell für einen katalanisc­hen Personalau­sweis und angesichts der Verlegung von Firmensitz­en, wechseln viele Leute die Bank, den Telefon- oder Stromanbie­ter. Per Telegram kommen täglich neue Vorschläge, was »du heute tun kannst«. Von der Caixa zur Banca Etica wechseln, von Stromkonze­rnen wie Endesa und Iberdrola zu Kooperativ­en wie Somenergia oder Factorener­ia, von Gas Natural zu Catgas, lauteten Vorschläge am Montag, denen sogleich viele nachkommen.

 ?? Foto: AFP/Lluis Gene ?? Verständig­ung vor der Parlaments­rede: Carles Puigdemont (M.) inmitten von Unabhängig­keitsbefür­wortern
Foto: AFP/Lluis Gene Verständig­ung vor der Parlaments­rede: Carles Puigdemont (M.) inmitten von Unabhängig­keitsbefür­wortern

Newspapers in German

Newspapers from Germany