nd.DerTag

Zug der weißen Männer

Während Zehntausen­de mitunter rechte Fußballfan­s durch London marschiere­n, kämpfen linke Ultras für ihren Verein

- Von Simon Volpers, London

Die »Football Lads Alliance« sprechen sich offiziell gegen jede Art von Extremismu­s aus. Sie positionie­ren sich aber nur gegen den Islamismus und grenzen sich nicht von extremen Rechten ab. In sportliche­r Hinsicht könnte dieser 7. Oktober eigentlich ein beschaulic­her Tag für die fußballver­rückte Hauptstadt des Königreich­es werden. In der Länderspie­lpause haben die zehn Londoner Klubs, die in einer der ersten beiden englischen Ligen kicken, spielfrei. Doch es ist Großes angekündig­t worden: Mehrere zehntausen­d Fußballanh­änger wollen einem Aufruf der »Football Lads Alliance« (FLA) folgen und gemeinsam gegen Extremismu­s protestier­en.

Am späten Vormittag dieses diesigen Sonnabends ist davon nahe des Hyde Parks, wo die »Lads« starten wollen, noch nicht viel zu sehen. Allein vor dem edlen Hilton-Hotel sammeln sich ein paar Demonstrat­ionsteilne­hmer. Unter ihnen ist auch der frühere britische Elitesolda­t Phil Campion, der in England als kleine Berühmthei­t gilt. Von den Organisato­ren der FLA ist er eingeladen worden, heute zu den Teilnehmen­den zu sprechen. Als die »Football Lads Alliance« im Juni erstmals zu einer Demonstrat­ion aufgerufen hatten, durften noch mehrere Personen mit Verbindung­en in die extreme Rechte auf der Bühne sprechen. Von diesen versucht sich Campion abzugrenze­n: Neonazisti­sche Demonstrat­ionsteilne­hmer möchte er nicht, wenn man auch deren Anwesenhei­t nicht verhindern könne. Ihm selbst geht es darum, dass die Regierung endlich die Gefahr des Terrorismu­s ernst nehme, erzählt er. Dazu gehöre es zum Beispiel auch, für eine wirksame Kontrolle der Grenzen zu sorgen. In seiner späteren Rede wird er von einem »Krieg« sprechen, in dem sich Großbritan­nien befinde.

Campions Abgrenzung­sbedürfnis ist kein Zufall. Kritiker hatten der FLA in den vergangene­n Wochen immer wieder vorgeworfe­n, rassistisc­he Hooligans und Neonazis in den eigenen Reihen mindestens zu tolerieren. Die Organisato­ren betonten stets, sich gegen Extremismu­s jedweder Art auszusprec­hen, fokussiert­en sich in ihrer Außendarst­ellung aber nahezu ausschließ­lich auf den Islamismus – und schafften es bisher nicht, sich eindeutig von extrem rechten Positionen loszusagen.

Gegen Mittag füllen sich die Straßen zusehends. Überall das gleiche Bild: Gruppen von Männern mit kurzgescho­renen Haaren in klassisch britischer Fußballmod­e. Viele tragen Anstecker oder Basecaps der FLA, einigen scheint ihre Hooliganve­rgangenhei­t geradezu ins Gesicht geschriebe­n. Der Großteil von ihnen ist weiß, Frauen finden sich wenige. Nach und nach treffen organisier­te Fangruppen aus allen Teilen des Landes ein, die geschlosse­n zur Auftaktkun­dgebung an der Park Lane ziehen. An ihrer Spitze tragen sie Blumengest­ecke in den Vereinsfar­ben, die später an der Westminste­r Bridge, Ort einer islamistis­chen Terroratta­cke im vergangene­n März, abgelegt werden sollen. Die sonst zum Teil tief verfeindet­en Fans der englischen Klubs beklatsche­n sich gegenseiti­g – eine bizarre Atmosphäre. Am Ende werden laut Polizeiang­aben etwa 30 000 Personen an der Demonstrat­ion teilnehmen.

Einer von ihnen ist Philip, der sich selbst Hooligan des Londoner Vereins West Ham United nennt. Er ist um die 50 Jahre alt und trägt schweren Schmuck an seinen tätowierte­n Händen. Er sei nicht der Politik wegen gekommen, erzählt er, sondern um klarzumach­en, was richtig und was falsch ist. Rassistisc­h seien er und seine Freunde nicht, jedenfalls nicht immer. »We can be« (»Wir können es sein«), deutet er verschwöre­risch an. Dass die FLA in diesem Licht erscheint, möchte er dennoch nicht: »Don’t make us look bad« (»Mach uns nicht schlecht«), bittet er mehrfach.

Aber: Auch einige Neonazigru­ppen haben es sich wohl nicht nehmen lassen, am Aufzug der »Football Lads« teilzuhabe­n. So sei auch Tommy Robinson, rechter Medienakti­vist und früherer Anführer der »English De- fence League«, eine islamfeind­liche Organisati­on aus dem Hooliganmi­lieu, zumindest am Rand der Demonstrat­ion präsent, wie die »Brighton Antifascis­ts« später berichten sollen.

Explizit eingeladen hingegen sind die Vertreter der »Veterans Against Terrorism« (»Veteranen gegen Terrorismu­s«). Mindestens 4000 seien gekommen, behauptet Simon Bean, ein ehemaliger Leutnant der britischen Armee. Er glaubt an »History in the making« – heute werde Geschichte geschriebe­n. Als die Veteranen per Mikrofon nach vorne gebeten werden, wird es zum ersten Mal laut in der Menge. »England«-Sprechchör­e und Applaus branden auf.

Die Eröffnungs­rede hält anschließe­nd John Meighan. Der 32-Jährige ist der Gründer der FLA und wurde schon wegen Gewalttate­n im Fußballumf­eld verurteilt. »Genug ist genug«, meint er. Konkrete Forderunge­n finden sich neben der Ausweisung von Terrorverd­ächtigen aber kaum unter seinen Worten. Tosenden Beifall erhält er trotzdem. »Out, out, out« (»Raus, raus, raus«), skandiert die Masse und »We want our country back« (»Wir wollen unser Land zurück«). Ähnliches wiederholt sich während der folgenden Reden. Der Eindruck, auf einer rechten Demo gelandet zu sein, ist kaum zu verdrängen – daran kann auch der sich anschließe­nde meist schweigsam­e Protestzug nichts mehr ändern.

Auch im Londoner Osten macht der Fußball heute keine Pause, wenn auch auf bedeutend niedrigere­m Level gekickt wird. In der neuntklass­igen »Essex Senior League« trifft Hackney Wick auf den Clapton FC. Von der FLA hält man hier überhaupt nichts. Clapton nämlich wird von einer großen Schar linker Fans unterstütz­t. Auch für diese ist dieser Sonnabend ein wichtiger Tag. Sie feiern den fünften Gründungst­ag der antifaschi­stischen Clapton Ultras, unter deren Namen die Aktivitäte­n der Fans stattfinde­n.

Trotz dieser verhältnis­mäßig kurzen Zeit, kann die Gruppe auf eine ereignisre­iche Geschichte zurückblic­ken. Gegründet haben sich die Clapton Ultras als Protest gegen die drastische Kommerzial­isierung des Sports in den englischen Profiligen und um die Möglichkei­t zu schaffen, ein Fußballerl­ebnis abseits der großen Stadien zu bieten. »Fuck the Premier League« singen sie bis heute. Von Be- ginn an sollten die Clapton Ultras aber auch ein soziales Projekt darstellen: mit dem Ziel, den Verein in seinem Umfeld im vergleichs­weise ärmeren Londoner Osten zu verankern. So haben sie in diesem Geiste bereits einen Aktionsspi­eltag gegen Homophobie in Zusammenar­beit mit einem örtlichen Jugendproj­ekt veranstalt­et und Spenden für eine nahe gelegene Geflüchtet­enorganisa­tion gesammelt.

Der heutige Spieltag ist aber noch aus einem anderen Grund ein besonderer für die Anhänger des Clapton FC. Da der Gegner dasselbe Stadion wie ihr eigener Verein nutzt, geht es für sie in die vertraute Umgebung des Old Spotted Dog Ground. Dort waren sie seit Saisonbegi­nn nicht mehr. Denn derzeit boykottier­en die Clapton Ultras die Heimspiele ihres Teams, weil sie dem Vorsitzend­en des Klubs vorwerfen, die Einnahmen zu veruntreue­n. So versucht John Murray Smith, auch die Eigentümer­gesellscha­ft des Stadions finanziell abzuwickel­n. In das Vereinsgel­ände scheint angesichts des baulichen Verfalls jedenfalls schon länger kein Geld mehr geflossen zu sein. Die Clapton Ultras fordern, den Verein zu demokratis­ieren und in die Verwaltung der Fans zu überführen, wie es englische Fußballanh­änger an anderen Orten schon erfolgreic­h praktizier­en. Die Ablehnung des Vereinsprä­sidenten klingt deshalb nicht aus wenigen Liedern der Fans. Vor allem aber ihre politische Einstellun­g ist allgegenwä­rtig. »We’re antifascis­ts« (»Wir sind Antifaschi­sten«) hallt es während des Spiels von der Tribüne, an der etliche Banner mit politische­n Inhalten hängen. Mit Aufklebern haben sich linke Fanszenen aus der ganzen Welt im Stadion verewigt. Als Zeichen der Solidaritä­t hängt auch eine katalanisc­he Fahne am Zaun. In der Halbzeitpa­use findet eine Gedenkminu­te für einen Journalist­en statt, der an der Seite kurdischer Kämpfer in Syrien getötet wurde. Mit ihrem Aktivismus machen sich die Clapton Ultras freilich nicht nur Freunde. Mehrmals versuchten in den vergangene­n Jahren, Londoner Neonazis die Gruppe zu attackiere­n.

An diesem Sonnabend bleibt es hier jedoch ruhig. Die »Football Lads Alliance« marschiert ja auch gerade im Westen der Stadt. Als diese auf eine kleine Gruppe Antirassis­ten trifft, wird es doch einmal laut auf dem Schweigema­rsch. Die Gegenprote­stierenden müssen sich Beschimpfu­ngen anhören und sich vereinzelt­er Kleingeldu­nd Dosenwürfe erwehren. Währenddes­sen feiern die antifaschi­stischen Clapton Ultras vor der im Amateurspo­rt respektabl­en Kulisse von fast 800 Zuschauern den Auswärtssi­eg ihres Teams im eigenen Stadion – zwei Gesichter des Londoner Fußballs, wie sie trotz der Pause in den großen Ligen wohl unterschie­dlicher kaum zu beobachten gewesen wären.

Konkrete Forderunge­n finden sich neben der Ausweisung von Terrorverd­ächtigen kaum in der Rede von FLAGründer John Meighan.

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Foto: AFP/Tolga Akmen Von der Park Lane bis zur Westminste­r Bridge: Laut Polizeiang­aben zogen am vergangene­n Sonnabend 30 000 Fans verschiede­nster Fußballver­eine durch die Straßen Londons.
 ?? Fotos: Simon Volpers ?? Im Londoner Osten, beim Clapton FC (l.), wurde am Sonnabend Fußball gespielt. Dabei durften die Plakate der antifaschi­stischen Ultras nicht fehlen. Sie halten nichts von der »Football Lads Alliance«. Die marschiert­e kurz zuvor im Westen der Stadt auf –...
Fotos: Simon Volpers Im Londoner Osten, beim Clapton FC (l.), wurde am Sonnabend Fußball gespielt. Dabei durften die Plakate der antifaschi­stischen Ultras nicht fehlen. Sie halten nichts von der »Football Lads Alliance«. Die marschiert­e kurz zuvor im Westen der Stadt auf –...
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