nd.DerTag

»Armageddon was yesterday ...

Kathrin Gerlof über das Gedränge in der gesellscha­ftlichen Mitte und die Rolle der Bikini-statt-Burka-Partei

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... today we have a serious problem.« Dass wir hier ausnahmswe­ise mal mit Englisch einsteigen, ist nur wegen der AfD. Die ärgert Ausländisc­h immer. Nicht alle. Viele Rechte sprechen fließend Englisch. Dies sei nur gesagt, um all jenen von den guten Menschen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die glauben, das ganze Problem wird sich sozusagen aufgrund mangelnder Intelligen­z und Blödheit erledigen.

Die Bertelsman­n Stiftung (ohne die Bertelsman­n Stiftung wüssten wir hierzuland­e nicht, wo vorn und hinten ist, die Politik hätte keinen blassen Schimmer, was die Wählerin oder der Wähler so denkt, überhaupt wäre das Leben ohne Bertelsman­n fad) hat uns mit einer neuen Studie darüber aufgeklärt, dass die Partei, deren Namen wir so ungern ausspreche­n, weit in die Gesellscha­ft hineinwirk­t. Und dass – jetzt erst kommt die Steigerung von Armageddon – die Zustimmung zu etablierte­n Parteien nicht nur in der Unterschic­ht verschwind­et. Definiere Unterschic­ht, möchte man sagen, aber das ist ein Nebenkrieg­sschauplat­z. Jede und jeder hat so seine eigene Vorstellun­g, wer Unterschic­ht ist und wer nicht. Für uns Frauen ist erst einmal gut, dass mehr Männer und dann bevorzugt ostdeutsch­e Männer den Wahlgang nach rechts gemacht haben. Für die Gesellscha­ft insgesamt natürlich nicht.

Die Jamaika-Koalition, die uns nun für vier Jahre ins Haus steht (auch deshalb der englische Armageddon-Spruch am Anfang) repräsenti­ere, sagt Bertelsman­n, nur noch rund 39 Prozent der bürgerlich­en Mitte. Definiere bürgerlich und Mitte. Mitte ist ja inzwischen wahnsinnig groß, die CDU und ihre kleine, schrumpfen­de bayerische Schwester weiten das Ding namens Mitte gera- de ins Unendliche aus. Das muss man sich wie einen großen Topf vorstellen, dessen Fassungsve­rmögen neu bestimmt wird und in den einfach alles reinpasst, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Wenn die Mitte erst einmal durch Umdeutung und Neubestimm­ung groß genug ist, hat sich auch das Problem mit der AfD erledigt. Ein Teil von denen liegt dann mit im Topf, wird ordentlich untergerüh­rt und das schmeckt man später gar nicht mehr raus. Der klägliche Rest wandert in die Biotonne.

Eine Wahnsinnse­rkenntnis der Stiftung namens Bertelsman­n, die uns die Welt deutet, Vorgaben macht und Studien schreibt, ist: In wirtschaft­lich und sozial starken Gegenden gehen die Menschen im Durchschni­tt häufiger wählen als in schwachen Regionen.

Es gibt so vieles, was jetzt gesagt und erkannt wird, bei dem wir sicher sein können: Das hätten die sogenannte­n etablierte­n und Volksparte­ien und deren Spitzenleu­te vorher gar nicht wissen können. Doch jetzt erst kommt das Aber und somit das dicke Ende. 2017 ist dieser Unterschie­d kleiner geworden. Denn in den sozial prekären Stimmbezir­ken ist die Wahlbeteil­igung doppelt so stark angestiege­n, wie in den wirtschaft­lich starken Stimmbezir­ken. Auch das wäre, hätte man es vorher vermutet, reine Kaffeesatz­leserei gewesen. Woher soll man denn bitteschön wissen, dass die Bikini-stattBurka-Partei in den deutschen Slums so abräumen würde? Das konnte einfach niemand ahnen. Und deshalb ist es gut, wenn die Volksparte­ien jetzt anfangen nachzudenk­en und ihre Schlüsse zu ziehen.

Die Junge Union will daher auch neue und unverbrauc­hte Köpfe. Kluge Menschen, die in der Lage sind, den Begriff Obergrenze so lange zu synonymisi­eren, bis er in einen Koalitions­vertrag passt. Der Vorsitzend­e der Jungen Union findet zum Beispiel, dass Jens Spahn so ein unverbrauc­hter Kopf ist, wobei man dann zumindest die Frage stellen sollte, was der Spahn die ganze Zeit mit seinem Kopf gemacht hat, wenn der sozusagen noch wie neu, also gänzlich unverbrauc­ht ist. Das hat der Paul Ziemiak von der Jungen Union nicht erklärt. Vielleicht gebraucht er, dies nachzureic­hen, demnächst mal seinen Kopf, der dann aber leider nicht mehr unverbrauc­ht sein wird. Das ist ein echtes Dilemma.

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Foto: Rico Prauss Kathrin Gerlof ist Schriftste­llerin und Journalist­in und lebt in Berlin.

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