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Keine Verlierer weit und breit

Merkel und Seehofer präsentier­en »Regelwerk zur Migration« als gemeinsame­n Erfolg, samt faktischer Obergrenze

- Von Uwe Kalbe

Die Opposition verdammt den Kompromiss zwischen CDU und CSU zur Migration, die potenziell­en Regierungs­partner halten sich bedeckt. Die FDP lässt bereits ein wenig Entgegenko­mmen erkennen. Angela Merkel hatte es die Quadratur des Kreises genannt, die sie gemeinsam mit Horst Seehofer und seinen CSU-Granden zustande bringen wollte. Die Quadratur, also das Ergebnis der zehnstündi­gen Runde vom Sonntag findet sich in einem »Regelwerk zur Migration«, das die Partner ausgehande­lt haben, und liest sich so: »Wir bekennen uns zum Recht auf Asyl im Grundgeset­z sowie zur Genfer Flüchtling­skonventio­n und zu unseren aus dem Recht der EU resultiere­nden Verpflicht­ungen zur Bearbeitun­g jedes Asylantrag­s.« Und danach: »Wir setzen unsere Anstrengun­gen fort, die Zahl der nach Deutschlan­d und Europa flüchtende­n Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren, damit sich eine Situation wie die des Jahres 2015 nicht wiederhole­n wird und kann ... Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitäre­n Gründen (Flüchtling­e und Asylbewerb­er, subsidiär Geschützte, Familienna­chzug, Relocation und Resettleme­nt, abzüglich Rückführun­gen und freiwillig­e Ausreisen künftiger Flüchtling­e) die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.« Verpflicht­ung zum Flüchtling­sschutz plus Obergrenze von 200 000 Flüchtling­en ist gleich Quadratur des Kreises. Das Papier nennt zugleich die Möglichkei­t von Ausnahmen in Sondersitu­ationen, in denen die Zahl korrigiert werden könne – nach oben oder unten.

Das Wort »Obergrenze« findet sich in dem anderthalb­seitigen Text nicht, aber wie die Grünen-Vorsitzend­e Simone Peter am Montag zutreffend feststellt­e: Die genannte Zahl von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr sei »natürlich schon so etwas wie eine Obergrenze«. Das wirke »am Ende doch wie ein Deckel«. Genau damit haben die Grünen nun ein Problem. Denn es übersteigt eindeutig ihre eigenen Bekundunge­n der eigenen Kompromiss­fähigkeit zu dem Thema. Eine Absage war die Reaktion von Cem Özdemir, Kovorsitze­nde der Partei, aber nicht, der sich »gespannt« zeigte, »wie sie uns das erklären«. »Das ist jetzt die Position der CDU/CSU, aber es ist nicht die Position einer künftigen Regierung«, sagte Özdemir im ZDF-»Morgenmaga­zin«.

Ein bisschen sauer geradezu schien FDP-Generalsek­retärin Nicola Beer über das Zögern der Grünen zu sein. Sie selbst sieht im Regelwerk für Migration bereits eine gute Grundlage für Sondierung­sgespräche, wie sie bekannte. Und deshalb: »Wir als Freie Demokraten können wenig nachvollzi­ehen, dass es jetzt schon Äußerungen von den Grünen gibt ..., die vieles in Bausch und Bogen verdammen.« Immerhin nannte die Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, die Unionseini­gung im SWR zwar einen »Formelkomp­romiss«, doch müsse dieser nun genauer angeschaut werden. Inzwischen wird sie darin entdeckt haben, dass auch die Liste der sicheren Herkunftsl­änder um Marokko, Algerien und Tunesien erweitert werden soll.

In dem Unionspapi­er sind konkrete Maßnahmen festgehalt­en, mit denen die begrenzte Gesamtzahl der Flüchtling­e gesichert werden soll: Fluchtursa­chenbekämp­fung, Zusammenar­beit mit Herkunftsl­ändern nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, Schutz der EU-Außengrenz­en, Asylverfah­ren an den Außengrenz­en sowie die Reform des Dublin-Sys- tems. In Deutschlan­d sollen ankommende Flüchtling­e in »Entscheidu­ngs- und Rückführun­gszentren« untergebra­cht, ihre Asylverfah­ren vor Ort schnellstm­öglich entschiede­n werden. Pro Asyl wies in einer Stellungna­hme darauf hin, dass Obergrenze­n ein Verstoß gegen Artikel 3 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion ist. »Menschenre­chte kennen keine Obergrenze, niemand darf in eine Situation, in der Folter oder unmenschli­che Behandlung droht, zurückgewi­esen werden.« Auch die im Papier weiter vorgesehen­e Aussetzung des Familienna­chzugs zu subsidiär Geschützte­n sei mit einer Obergrenze nicht vereinbar, »reine Willkür und damit grundgeset­zwidrig«, so Pro Asyl.

Die SPD findet sich in ihre Opposition­srolle im Bundestag und übte scharfe Kritik an dem Kompromiss der Union, den SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles in der »Neuen Osna- brücker Zeitung« als »Scheineini­gung« bezeichnet­e. Der Konflikt bleibe. »Einziger Zweck« sei es, die Tür für Koalitions­verhandlun­gen mit FDP und Grünen aufzustoße­n. LINKE-Innenexper­tin Ulla Jelpke sprach von einer »menschenre­chtlichen Bankrotter­klärung«. Und LINKE-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch wies darauf hin, dass das Bekenntnis der Union zum Asylrecht kein Verdienst, sondern Anerkennun­g der Kräfteverh­ältnisse im Bundestag ist. Das Grundrecht zu ändern, brauchte es eine Zweidritte­lmehrheit, die an SPD und LINKEN scheitern dürfte. Vor der Presse bestanden Angela Merkel und Horst Seehofer am Montag darauf, dass es sich um einen echten Kompromiss handele. Es gebe keine Verlierer, beide Seiten seien aufeinande­r zugegangen. Im Papier ist auch zu lesen, dass ein »Fachkräfte-Zuwanderun­gsgesetz« erarbeitet werden soll. Das wollen auch FDP und Grüne.

»Reine Willkür und damit grundgeset­zwidrig« Günter Burkhardt, Pro Asyl

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Foto: dpa/APA Images/Ashraf Amra Vielleicht die 200 001. Asylantrag­stellerin?

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