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Türkei schickt Erkundungs­team nach Syrien

Erkundungs­team traf sich mit Vertretern von Hairat Tahrir al-Scham, das hauptsächl­ich aus der Nusra-Front besteht

- Von Karin Leukefeld, Damaskus

Der Einmarsch der türkischen Armee in die syrische Provinz Idlib ist angekündig­t. Eigentlich­es Ziel der geplanten türkischen Militärprä­senz könnte die von Kurden kontrollie­rte Stadt Afrin sein. Anders als von vielen Medien berichtet, ist die türkische Armee bisher nicht in die syrische Provinz Idlib einmarschi­ert. Der Truppenauf­marsch findet derzeit auf der türkischen Seite der Grenze statt. Nach Mitteilung der Armeeführu­ng überquerte am Sonntag lediglich ein Erkundungs­team mit hochrangig­en Militär- und Geheimdien­stkräften den Al Atmeh Grenzüberg­ang. Ziel sei es gewesen, Stützpunkt­e zu markieren, von denen man die Kontrolle und Sicherung des Deeskalati­onsgebiete­s Idlib vornehmen wolle. Mit Russland und Iran gehört die Türkei zu den Garantiemä­chten des Astana Abkommens, das für Syri- en vier Deeskalati­onsgebiete vorsieht. Ausgenomme­n von der Vereinbaru­ng sind der selbst ernannte »Islamische Staat« (IS) sowie die Nusra-Front.

Die Türkei trägt für eine Befriedung in Syrien eine besondere Verantwort­ung, weil Ankara – in Absprache mit den USA, Golf- und NATO-Staaten – seit 2011 Kampfverbä­nde gegen die syrische Regierung und Armee aktiv unterstütz­t, bewaffnet und finanziert hat. Zwischen »IS« und Türkei entwickelt­e sich ein lebhafter Handel mit Öl, Weizen, gestohlene­n Maschinen und geplündert­en antiken Kunstgüter­n. Die türkische Stadt Gaziantep gilt als sicherer Rückzugsor­t für den »IS«.

Im Frühjahr 2015 stürmte eine »Armee der Eroberung« aus der Türkei in die nordwestsy­rische Provinz Idlib und brachte die syrische Armee an den Rand ihrer Möglichkei­ten. Ausgerüste­t waren die bis zu 10 000 Kämpfer mit modernsten lasergeste­uerten TOW-Raketen US-amerikanis­cher Herkunft. Erst mit dem Eingreifen der russischen Armee haben sich die militärisc­hen Kräfteverh­ältnisse deutlich gewendet. In blutigen Verteilung­skämpfen hat sich die Nusra-Front seitdem in Idlib – vor allem mit Unterstütz­ung aus der Türkei und Katar – als stärkste militärisc­he Kraft durchgeset­zt. An Grenzüberg­ängen und strategisc­hen Verbindung­sstraßen in die Türkei kassiert sie Gebühren und kontrollie­rt die Verteilung von medizinisc­hen und anderen Hilfsgüter­n.

Ihre Mitgliedsc­haft bei Al Qaida hat die Nusra-Front offiziell gekündigt und mehrmals ihren Namen geändert. Das Ziel, aus Syrien einen Gottesstaa­t zu machen, blieb. Aktuell firmiert die Gruppe unter dem Namen »Hairat Tahrir al-Scham« (HTS), Bündnis für die Eroberung von Syrien. Die meisten Bündnispar­tner haben sich allerdings wieder abgesetzt, so dass HTS kaum mehr ist, als ein weiterer Name für die Nusra-Front. Die Zahl ihrer Kämpfer wird derzeit auf rund 20 000 geschätzt.

Ausgerechn­et mit HTS traf sich nun das türkische Erkundungs­team am Sonntag. Videos zeigen die türkischen Militärfah­rzeuge eingebette­t in einen Konvoi mit bewaffnete­n und beflaggten Fahrzeugen der Nusra-Front. Beim HTS-Stützpunkt Darat Al Issa, westlich von Aleppo, stoppte der Konvoi längere Zeit, vermutlich für eine Besprechun­g. Möglicherw­eise will die Türkei mit HTS kooperiere­n und deren Stützpunkt­e entlang der Frontlinie zu Afrin übernehmen. Im Gegenzug könnte es politische Zusagen für HTS im Rahmen einer Befriedung der Provinz Idlib geben.

Der syrische Außenminis­ter Walid Mouallem erklärte, Syrien habe allen Grund, der Türkei zu misstrauen. Die Umsetzung des Deeskalati­onsabkomme­n für Idlib sei für Ankara eine »Prüfung«. Die Kampfgrupp­en müssten die Waffen abgeben oder Syrien verlassen. Mouallem, der am Montag zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow nach Sotschi reiste, machte klar, dass Syrien türkischer Truppen in Idlib ablehnt.

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