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»Antwort auf die Russifizie­rungspolit­ik«

Die ukrainisch­e Schulrefor­m bannt Unterricht in Russisch / Auch andere Minderheit­en betroffen

- Von Denis Trubetzkoy, Kiew

Das ukrainisch­e Parlament hat eine brisante Bildungsre­form verabschie­det. Damit wird die Bildung komplett ukrainisch­sprachig. Lehrkräfte, die sich negativ über die Ukraine äußern, drohen Strafen. Diesmal brauchten die Abgeordnet­en der Werchowna Rada, des ukrainisch­en Parlaments, keine Aufwärmpha­se. Gleich am ersten Tag der neuen Sitzungspe­riode stimmten sie für die wichtige und heiß diskutiert­e Bildungsre­form ab. 255 Abgeordnet­e haben dem erneuerten Bildungsge­setz zugestimmt, das in erster Linie eine weitreiche­nde Veränderun­g vorschreib­t: Künftig werden Ukrainer zwölf statt elf Jahre an der Schule verbringen müssen. Das wird wiederum bedeuten, dass der durchschni­ttliche Ukrainer seinen Schulabsch­luss im Alter von 19 Jahren bekommen wird.

Während auch die Schlüsself­rage der Reform sowohl für viel Lob als auch für reichliche Kritik sorgt, wird die öffentlich­e Aufmerksam­keit durch einen anderen Aspekt erregt. Denn durch das angenommen­e Gesetz wird die Bildung in der Ukraine, die trotz der Alleinstel­lung des Ukrainisch­en als Staatsspra­che zweisprach­ig ist, komplett ukrainisch­sprachig. »Wir haben es endlich geschafft. Es ist sehr wichtig für die Zukunft der ukrainisch­en Sprache, aber auch der Souveränit­ät unseres Landes«, kommentier­te Wiktorija Sjumar, eine der Initiatore­n des Gesetztes sowie Abgeordnet­e der Volksfront.

Konkret geht es darum, dass künftig nur noch Ukrainisch – mit kleinen Ausnahmen – an den Bildungsei­nrichtunge­n als Unterricht­sprache zugelassen wird. Zwischen dem 1. September 2018 und dem 1. September 2020 wird es noch erlaubt sein, die erste bis zur fünften Klasse in den Sprachen der nationalen Minderheit­en zu unterricht­en. Ab Herbst 2020 wird diese Norm allerdings auch für die unteren Klassen der Schule abgeschaff­t. Außerdem werden die Schulen der nationalen Minderheit­en verschwind­en. Für sie bleiben lediglich eigene Klassen, die sich allerdings nur auf die so genannten »eingeboren­en Völker« wie Krimtatare­n beschränke­n. Nicht etwa auf die rumänische oder bulgarisch­e Minderheit.

Eine weitere Ausnahme bilden Englisch und die Sprachen der EU: Es wird weiterhin erlaubt sein, einige wenige Fächer in diesen Sprachen zu unterricht­en. Russisch als Bildungssp­rache wird aber durch die neue Re- Olexander Spiwakowsk­yj, Mitautor der Bildungsre­form

form völlig verschwind­en, was vor allem die stark russischsp­rachigen Regionen im Süden und Osten der Ukraine beeinfluss­en könnte. Insbesonde­re der Opposition­sblock, dessen Wählerscha­ft aus diesen Gebieten kommt, empört sich über das neue Bildungsge­setz. »Damit wird Russisch für Schüler der höheren Klassen de facto untersagt. Das darf man mit der Mutterspra­che unzähliger Kinder nicht machen«, betont Olexander Wilkul, einer der Anführer des Opposition­sblocks. »So etwas hat mit dem angestrebt­en europäisch­en Weg nichts zu tun.«

Die Befürworte­r der Reform wie der Aktivist Taras Schamajda halten solche Kritik für ungerecht: »Zum einen darf Russisch als Fach natürlich weiterhin unterricht­et werden, gar keine Frage. Zum anderen ist es eine nötige Antwort auf die langjährig­e Russifizie­rungspolit­ik in der Sowjetunio­n sowie an die Dominanz der russischen Sprache.« Fraglich ist je- doch, ob dieser Schritt gerade im Bildungsbe­reich die Leute im umkämpften Teil des Donbass sowie auf der von Russland annektiert­en Krim auf die Seite Kiews bringen wird. »Es gibt die Leute, die die Krim und den Donbass mit der Ukrainisie­rung der Bildung dort zurückhole­n wollen? Das nenne ich logisch und sehr realistisc­h«, meint Oleg Woloschin, Diplomat und ehemaliger Sprecher des Außenminis­teriums, ironisch.

Allerdings ist die Zukunft der gesamten Bildungsre­form trotz der positiven Abstimmung in der Rada fraglich, was allerdings nichts mit der Sprachenfr­age zu tun hat. »Die Reform ist aus der Sicht der Regierung zu teuer«, betonte der ukrainisch­e Ministerpr­äsident Wolodymyr Grojsman lange vor der Abstimmung. Finanzmini­ster Olexander Danyljuk rief das Parlament dazu auf, das Bildungsge­setz nicht zu unterstütz­en, weil die Reform nicht finanzierb­ar ist: »Für sie gibt es kein Geld im Haushalt – und dieses Geld wird es auch morgen nicht geben.« Einschätzu­ngen der Regierung zufolge soll die Umsetzung der Bildungsre­form rund drei Milliarden Euro kosten, die Bildungsmi­nisterin verteidigt allerdings das Gesetz und sieht die Finanzlage als »nicht so dramatisch«.

Aus politische­r Sicht ist außerdem eine kleine Änderung brisant, für die letztlich zusammen mit dem gesamten Gesetztext abgestimmt wurde. Diese sieht administra­tive Verfolgung der Lehrer, die sich negativ über die Ukraine oder ihre Staatssymb­ole äußern, vor. »Wir müssen die Leute, die unser Land negativ darstellen, aus dem Bildungssy­stem ausschließ­en«, sagt Olexander Spiwakowsk­yj, einer der Autoren des Gesetzes. Wie genau das funktionie­ren soll, ist noch unklar.

»Wir müssen die Leute, die unser Land negativ darstellen, aus dem Bildungssy­stem ausschließ­en.«

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