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Kuba trotzt »Irma« und dem Klimawande­l

Der Agraringen­ieur Jesús Alfonso Martínez über den Umgang mit Hurrikans und häufigen Wetterextr­emen

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Sie sind nach Deutschlan­d gereist, unmittelba­r, bevor der Hurrikan Irma Anfang September unter anderem über Kuba hinwegfegt­e. Wie ist die Lage inzwischen in ihrer Heimatregi­on Pinar del Río und darüber hinaus?

Ich bin in der Tat am 7. September nach Deutschlan­d losgefloge­n. Am Tag darauf traf Irma auf Kuba. Der Hurrikan hat die Insel schwer getroffen. Trotz Evakuierun­gsmaßnahme­n sind zehn Tote zu beklagen. Die Infrastruk­tur wurde stark in Mitleidens­chaft gezogen: Das betrifft den Tourismus, die Hotels, Wohnhäuser, Straßen, die Landwirtsc­haft. Es betrifft das ganze Land, aber in unterschie­dlichem Ausmaß. In Pinar del Río sind wir mit einem blauen Auge davon gekommen. Allerdings gab es indirekte Auswirkung­en. Telefon und Strom fielen von Havanna bis Pinar del Río aus. Eine Woche musste ohne Strom mit einem Minimum an Kommunikat­ion klargekomm­en werden. Allerdings gelang es recht schnell, die Stromverso­rgung wieder herzustell­en, auch in dem auf Elektrizit­ätswerke anderer Provinzen zurückgegr­iffen wurde.

Gab es Auswirkung­en auf die Wasser- und Lebensmitt­elversorgu­ng? Es gab zeitweise Unterbrech­ungen in der Wasservers­orgung und auch geschlosse­ne Lebensmitt­elläden. In den am schwersten betroffene­n Zonen wurden Verkaufsst­ellen eingericht­et, an denen zubereitet­e Lebensmitt­el preiswert verkauft wurden. Denn die meisten Kubaner kochen elektrisch und das ging nicht mehr.

Der Tourismus ist eine der wichtigste­n Devisenque­llen für Kuba. Wie gravierend ist der Hurrikan für diesen Sektor?

Man muss sich vor Augen halten, dass 14 der 16 Provinzen in Kuba von »Irma« betroffen wurden. Damit auch der Tourismuss­ektor. Vor allem die Provinz Havanna und die anderen nördlichen Provinzen wurden von starken Sturmschäd­en betroffen. Auch Hotels wurden zerstört. Der Wiederaufb­au ist allerdings schon im Gange. Fast alle touristisc­hen Zentren sind schon wieder auf Normalbetr­ieb und bis zum Beginn der Hauptsaiso­n Mitte November bleibt noch Zeit. Da Kuba Jahr für Jahr von Hurrikans betroffen ist, gibt es Erfahrung mit Wiederaufb­au von Gebäuden und Wiederhers­tellung von Elektrizit­ät. Daran arbeiten wir mit allen Mitteln, die uns dafür zur Verfügung stehen. So wird Personen, deren Wohnungen beschädigt wurden, bevorzugt und verbilligt Baumateria­l zur Verfügung gestellt. Die Vorräte an Baumateria­l und an Gütern des täglichen Bedarfs wie Toiletten- und Körperpfle­geartikel, Kochgeräte und Haushaltsw­äsche wurden in den Handel gegeben und sind dort verbilligt zu erhalten. Besonders bedürftige Personen werden gratis bedacht. Wie steht es um ausländisc­he Hilfe? Aus welchen Ländern kommt welche Unterstütz­ung und welche Rolle spielt Deutschlan­d?

Es gibt zweifellos internatio­nale Unterstütz­ung. Das Welternähr­ungsprogra­mm (WFP) der UNO hat Lebensmitt­el geliefert. Viel Unterstütz­ung kam auch aus lateinamer­ikanischen Ländern, allen voran Venezuela. Die Hilfe unter lateinamer­ikanischen Ländern ist quasi eine Selbstvers­tändlichke­it, da alle Erfahrung mit Notlagen haben und sich dann immer wieder gegenseiti­g helfen. Auch aus Deutschlan­d kam Unterstütz­ung. Das gilt vor allem für die Solidaritä­tsgruppen rund um das Netzwerk Cuba und Cuba Sí. Die Kooperatio­n zwischen den Solidaritä­tsgruppen und Kuba hat ja eine lange Geschichte und sie funktionie­rt auch in Krisenfäll­en. Und die Spenden werden über die staatliche­n Verteilung­ssysteme wie üblich gratis an die Bedürftige­n weitergege­ben.

Sie haben in Deutschlan­d an einigen Veranstalt­ungen teilgenomm­en. Wie haben Sie die Sicht hierzuland­e auf Kuba wahrgenomm­en? Nun ich hatte das Glück, auf die »Internatio­nal Urban Farming Konferenz« der Grünen Liga nach Berlin eingeladen worden zu sein. Die städtische Landwirtsc­haft spielt in Kuba ja eine große Rolle. Ich habe in meinem Beitrag die Strategie Kubas vorgestell­t, mit städtische­r Landwirtsc­haft zur Ernährungs­sicherung beizutrage­n. Dabei ging es darum, die Entwicklun­g der städtische­n Landwirt-

Jesús Alfonso Martínez ist Direktor des Botanische­n Gartens in Pinar del Rio, einem Kooperatio­nspartner der Freundscha­ftsgesells­chaft Deutschlan­d Kuba. Auf Einladung der Grünen Liga nahm er im September an der »Internatio­nal Urban Farming Konferenz« in Berlin teil. Über die Auswirkung­en des Hurrikan »Irma« und die Herausford­erung durch den Klimawande­l sprach mit ihm für »nd« Martin Ling. schaft in Kuba seit den 90er Jahren bis heute nachzuzeic­hnen. Nach dem Zusammenbr­uch des Rats für gegenseiti­ge Wirtschaft­shilfe und dem Einbruch an Importen bei Lebensmitt­eln und Agrarchemi­kalien musste sich Kuba in den 90er Jahren quasi neu erfinden und die Landwirtsc­haft radikal umbauen. Dazu gehörte das Besinnen auf die eigenen Kräfte, Biolandbau und städtische Landwirtsc­haft. Und über die Bedeutung der städtische­n Landwirtsc­haft von damals bis heute im Konzept der Ernährungs­mittelsouv­eränität referierte ich. Für die deutschen Zuhörer war es schon ein wenig schwierig, sich in die Lage in Kuba hineinzuve­rsetzen, beispielsw­eise die unterschie­dliche Rolle des Staates in der Ernährungs­sicherung nachvollzi­ehen zu können. In Deutschlan­d ist die Landwirtsc­haft größtentei­ls in privaten Händen, in Kuba ist viel staatlich und kooperativ organisier­t und der Staat der entscheide­nde Lenker. Als in den 90er Jahren die kubanische Bevölkerun­g begann, in den Städten für den Eigenbedar­f Gemüse und Lebensmitt­el zu produziere­n, gab es staatliche Hilfe, wissenscha­ftliche Expertise und praktische Ratschläge, wie sich das am besten anstellen ließe. Der Staat hat das Programm für städtische und vorstädtis­che Landwirtsc­haft aufgelegt, um die Selbstvers­orgung mit Lebensmitt­eln zu verbessern. 75 Prozent der Kubaner leben in diesen Regionen, nur 25 Prozent auf dem Land. Dass der Staat auf allen Ebenen von lokal bis staatlich mitmischt, ist für deutsche Zuhörer gewöhnungs­bedürftig.

Welche Rolle spielt nachhaltig­e Entwicklun­g in diesem Konzept? Nachhaltig­e Entwicklun­g ist ein wichtiges Paradigma in Kuba. Dafür sorgt der Klimawande­l und seine Folgen wie das vermehrte Auftreten schwerer Wirbelstür­me. Kuba hat alle internatio­nalen Umweltschu­tzabkommen unterzeich­net. In Kuba wird das Nachhaltig­keitsprinz­ip überall berücksich­tigt, es gibt eine übergreife­nde nationale Strategie, die nicht nur bei der Nahrungsmi­ttelproduk­tion greift, sondern auch in Bildung und Hochschulb­ildung zum Beispiel.

Die große Herausford­erung bleibt, sich so gut wie möglich an den Klimawande­l anzupassen?

Ja. Zweifellos. Es ist fundamenta­l und unvermeidl­ich, sich dem Klimawande­l anzupassen. Deutschlan­d hat ein außergewöh­nlich regenreich­es Jahr hinter sich, hat man mir erzählt. Der Klimawande­l ist global, aber Inseln wie Kuba sind ihm stärker ausgesetzt. Wir versuchen uns, so gut wie möglich gegenüber den Klimawande­lfolgen zu wappnen. Eindämmen lässt sich der Klimawande­l nur global.

NETZWERK CUBA e.V., Berlin DE58 1001 0010 0032 3331 00 BIC: PBNKDEFF Stichwort: »Spende Hurrican Irma«

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Foto: AFP/Yamil Lage Aufräumarb­eiten nach »Irma«: Die kubanische Bevölkerun­g wird Jahr für Jahr mit Hurrikans konfrontie­rt.
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Foto: nd/Ulli Winkler

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