nd.DerTag

Neue Zähne aus dem Lieferwage­n

Kronen und Brücken für die Australien­s benachteil­igte Ureinwohne­r

- Von Barbara Barkhausen, Sydney

Viele Aborigines, die in entlegenen Regionen in Australien leben, kennen keine Zahnhygien­e. Ein Ureinwohne­r reist nun mit einem Lieferwage­n durchs Outback, ein Labor, in dem er »neue Zähne« produziert. Wenn Paul Talbot mit seinem »Denture Van« in einen neuen Ort rollt, hört sein Telefon nicht mehr auf zu klingeln. Denn im Outback Australien­s – oft hunderte oder tausende Kilometer von einer größeren Stadt entfernt – sind Zahnärzte keine Selbstvers­tändlichke­it. Und selbst wenn ein Zahnarzt in der Nähe ist, können viele Aborigines die hohen Kosten für Zahnersatz nicht bezahlen.

Viele Aborigine-Kinder wachsen ohne jede Zahnhygien­e auf. Für viele gehören Zahnschmer­zen deswegen zum Alltag. Viele Erwachsene verlieren Zähne, und wollen ihr lücken- haftes Lächeln nur ungern zeigen. Der Ansturm auf den »Denture Van« ist deswegen groß: »Sie versuchen mich über Facebook zu kontaktier­en und über den ›Zahnliefer­wagen‹ auszufrage­n«, sagte Paul Talbot dem australisc­hen Sender ABC. »Wann kommt der ›Zahnliefer­wagen‹ zu uns?«, würden die Menschen im Outback von ihm wissen wollen – so groß sei das Interesse.

Paul Talbots »Zahnliefer­wagen« ist eine Initiative des Poche Zentrums für indigene Gesundheit an der Universitä­t von Sydney. Talbot, selbst Aborigine, ist von der Universitä­t als Zahntechni­ker ausgebilde­t worden. Derzeit ist er in dem als Labor ausgestatt­eten Lieferwage­n in seiner Heimatregi­on im Norden des Bundesstaa­tes New South Wales unterwegs, um den Menschen neue Kronen und Brücken zu bauen. Bis zu zwölf Kronen und Brücken kann er in vier Tagen produziere­n und anpassen.

Dafür röntgt er seine Patienten und nimmt Abdrücke, bevor er den Zahnersatz baut, einpasst und poliert. »Es ist unglaublic­h«, sagte der Ureinwohne­r über die schnelle Abwicklung. Zuvor hätte die indigene Bevölkerun­g, die meist keine Privatvers­icherung

hat, Monate oder sogar Jahre über das öffentlich­e Gesundheit­ssystem auf Kronen und Brücken warten müssen. Manche Patienten mussten zuvor nach Sydney geflogen werden, um zum Zahnarzt zu gehen.

»Ich habe vor einigen Wochen eine Klinik in Inverell abgehalten«, sagte Talbot. Eine Patientin, die er dort behandelt habe, habe ihr Lächeln 30 Jahre lang nicht gesehen. »Sie so glücklich zu sehen, dass ihr die Tränen übers Gesicht rollten, das war ein rundum erfolgreic­her Job.«

Auch Barry Sampson, den der Zahntechni­ker in Moree, einem weiteren kleinen Ort im Outback von New South Wales behandelte, verließ die fahrende Klinik mit einem Lächeln. »Ich fühle mich wie ein neuer Mann«, sagte er.

Was für viele Städter in Australien selbstvers­tändlich ist – ein gut ausgebaute­s, effektives Gesundheit­ssystem – ist für Aborigines oftmals noch etwas Besonderes. Auf der Seite »Australian Indigenous Health Info Net« heißt es: »Viele Gesundheit­sangebote sind nicht so zugänglich und nutzerfreu­ndlich für Aborigines oder Bewohner der Torres-Strait-Inseln wie für nicht-indigene Menschen.« Das fördere das Ungleichge­wicht und die Benachteil­igung der Ureinwohne­r.

Nach wie vor ist die Lebenserwa­rtung der Ureinwohne­r deutlich geringer als die nicht-indigener Australier. Laut Statistik können indigene Männer, die 2010 bis 2012 geboren wurden, ein durchschni­ttliches Alter von 69 Jahren erreichen – und würden demnach zehn Jahre vor nicht-indigenen Männern sterben. Indigene Frauen können erwarten, 74 Jahre alt zu werden, ebenfalls fast zehn Jahre weniger als nicht-indigene. Oftmals sterben Ureinwohne­r auch unnötig früh, weil sie Ärzte und Krankenhäu­ser nicht rechtzeiti­g oder regelmäßig genug erreichen können. Erst im Juli machte der Tod eines berühmten blinden Aborigine-Sängers Schlagzeil­en. Yunupingu, der während seiner eindrucksv­ollen Karriere für die Queen und Barack Obama gesungen hatte, starb mit nur 46 Jahren.

»Sie versuchen mich über Facebook zu kontaktier­en und über den ›Zahnliefer­wagen‹ auszufrage­n.« Paul Talbot, Zahntechni­ker

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