Vom Engagement zur Obsession
Nicol Ljubic´ erzählt davon, wie manischer Aktivismus ein Menschenleben und eine Familie zerstört
Oberflächlich betrachtet, handelt es sich bei diesem Roman um eine Skizze aus der Vor- und Frühgeschichte der Grünen. Aber es steckt mehr darin, weit mehr. Nicol Ljubić geht es um die Frage, was das plötzliche politische Engagement eines Elternteils aus einem Kind macht, das bis dahin in einer Durchschnittsfamilie aufgewachsen war, mit beiden Elternteilen viel unternommen hat, mit dem Vater zu Fußballspielen ging und dergleichen mehr. Für die Mutter indes wird Politik nach und nach zur Obsession.
Als Aufhänger dient eine reale Begebenheit aus dem Jahr 1977: der furchtbare Selbstmord des Tübinger Lehrers und Atomkraftgegners Hartmut Gründler in Hamburg durch Selbstverbrennung. Wobei der Buchtitel in diesem Falle doppeldeutig ist: Zuvor »brannte« Gründler für seine Sache.
Dieser besessene Umweltaktivist wird in der fiktiven Geschichte zu einem Untermieter der Familie Kelsterberg, der nach und nach die Mutter in seinen Bann zieht – bis sie ihm nur noch blind folgt und die Familie zerstört. Als Hanno zehn Jahre alt ist, geht die Ehe der Eltern in die Brüche, der Vater stirbt bei einem Autounfall.
Diese verhältnismäßig kurze Kindheitsepoche wird von dem inzwischen 44-jährigen Ich-Erzähler reflektiert, wobei er versucht, dem Fanatismus Gründlers und in der Folge dem seiner Mutter vor dem Hintergrund der 70er Jahre – Stichwort: Deutscher Herbst – auf den Grund zu kommen.
Irgendwann veränderte sich das Leben der Familie Kelsterberg. Die bis dahin unpolitische Mutter beginnt, sich für Umweltfragen zu interessieren und bringt ihre Erkenntnisse in geradezu bizarrer Weise ins Familienleben ein: Da wird auf einmal »ökologisch« gekocht, am Ende gibt es nur noch Kartoffeln mit Dickmilch, weil alles andere ungesund und krebserregend sei. Stundenlang trägt die Mutter »den Brei einer Karotte im Mund mit sich herum«. Sogar zu Stuhluntersuchungen des kleinen Hanno, der sich seinerseits viel mehr für Fußball und das Sammeln von Fußballerbildern interessiert, lässt sich die Mutter herbei.
Durch die Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima sieht sie und im Nachhinein ihren Hartmut Gründler bestätigt: Hatte der nicht immer vor den Gefahren gewarnt? Hatte er nicht in Hunderten von Briefen Helmut Schmidt und die damals regierende SPD aufgefordert, den Irrweg der Atomkraft zu verlassen?
Es erweist sich schließlich, dass die Mutter nicht nur einem Fanatiker aufgesessen ist, sondern einem Egomanen, der zwar die »große« Umwelt immer im Blick behält, für die »kleine« um ihn herum aber überhaupt keine Antenne mehr besitzt.
»Seine Entschlossenheit, die meine Mutter so bewundert hat, war in Wahrheit eine unglaubliche Eitelkeit, eine Selbstgefälligkeit. Er konnte sich nicht eingestehen, dass er gescheitert war, also hat er sich lieber umgebracht.«
Dem glänzenden Erzähler Ljubić ist mit diesem Roman das berührende Psychogramm einer eigentlich verlorenen Kindheit gelungen.
Nicol Ljubic´: Ein Mensch brennt. Roman. dtv, 333 S., br., 20 €.