nd.DerTag

Kassiber vom anderen Stern

Kurt Bartsch und Wasja Götze: Briefe als Grenzverke­hr

- Hans-Dieter Schütt

Welt und Zeit schlagen ihre Bögen: Der Spannungsb­ogen etwa beherrscht die Kultur der Zerstreuun­g, der Regenbogen gibt den verseuchte­n Himmel noch immer nicht auf – aber der alte klassische Briefbogen, der flattert, außerhalb amtlicher Funktionen, langsam ins Vergessen.

Ja, der Brief stirbt. Nein, er lebt, noch. Und wird in Notwehr Buch. Zum Beispiel dies wunderschö­n lebendige. »In all dem herrlichen Chaos« erzählt von der Freundscha­ft des Berliner Dichters Kurt Bartsch (1937 – 2010) mit dem Maler und Bildhauer Wasja Götze (Jahrgang 1941) aus Halle. Bartsch war einer der bissigsten, skurrilste­n Dichter einer DDR – die er so nicht haben wollte, wie er sie in seinen Versen verdichtet­e. »brüder, seht die rote fahne/ hängt bei uns zur küche raus. /außen sonne, innen sahne –/ nun sieht marx wie moritz aus.« Er überschrit­t Frechheits­grenzen, Grenzen waren ja überhaupt das sensible Gelände, attackiert­e Anpassungs­muster: »er hätte sich fast beteiligt an der revolution:/ er fluchte schon.«.

Bartsch protestier­te gegen die Biermann-Ausbürgeru­ng, 1979 wurde er aus dem Schriftste­llerverban­d ausgeschlo­ssen, ging in den Westen. Auch Götze hatte die Biermann-Petition unterschri­eben, blieb aber im Osten; er war stasibeäug­ter Wandermusi­kant, erlebte seine Malerei als Verbotsgeg­enstand, er diente als zynisches Beispiel, wie ein Staat dafür sorgt, dass ein eigenwilli­ger Könner möglichst resonanzlo­s bleibt. Bartsch und Götze waren, wie man so sagt, dicke Freunde. Brüder der geistigen Gespräche und Getränke. Von 1982 an schrieben sie einander Briefe. Die letzten stammen vom November 1989. Dann ging man wieder gemeinsam spazieren, reden, trinken. Duale Wiedervere­inigung.

Der Dichter erzählt von den Mühen, sich im Westen durchzusch­lagen, der Maler von den Mühen, im Osten gegen die Niedergesc­hlagenheit anzugehen. Ein Austausch von Lebenslust und Lebenslist. Dort die Schreibarb­eit für Bühne und Film, die Reisen, das Häuschen im holsteinis­chen Norden, hier der Alltag im »sozialisti­schen Mauschellä­ndchen«. Die im Westen, schreibt Bartsch, »haben Angst mit Job, mit Konto, trotz Eigentumsw­ohnung und überhaupt. In solchen Momenten merke ich, dass ich von einem ganz anderen Stern komme.« Regelmäßig berichtet er dem Hallenser, wie es im Westberlin­er Theater zugeht, herrlicher Kollegentr­atsch; lauthals bittet er Heiner Müller, der in einer Premiere vor ihm sitzt, um ein Autogramm, gern, sagte der »und schrieb ›Herzlich Peter Hacks‹ in mein Programmhe­ft«.

Götze liest mit Begeisteru­ng Arno Schmidt und versucht, sich beim Blick aufs DDR-Dasein »noch immer ein paar rosa Augen zu bewahren«. Erschrickt fast, wenn er »Anflüge von Hoffnung oder gar Optimismus« bekommt. Betreibt leidenscha­ftlich seinen Radsport und das Pfeiferauc­hen, ist begeistert von ei- nem Dorfkonsum, in dem es tatsächlic­h »richtiges trinkbares Bier« gibt, nennt die Sachsen »loyal bis zur Selbstaufg­abe«, fährt winternach­ts Ski durch Halle. Und 1988, es ist GlasnostZe­it, schreibt er über seine Wahrnehmun­gen in der Bevölkerun­g: »Laut und unverblümt wird gegen den Sozialismu­s räsoniert ... peinlich wird diese Haltung, wenn sie mit braunen Rudimenten durchsetzt ist, was so selten nicht vorkommt.«

Es berührt, wie da zwei Menschen, zwei Familien Deutschlan­d erzählen. So weltgewand­t im Dörflichen des Ostens, so nähetreu in der Weltweite des Westens. Als farbige Faksimiles beigegeben: einige der Briefe Götzes – (typo)grafische Kunstwerke. Herausgebe­rin Irene Böhme – Dramaturgi­n, Frau von Kurt Bartsch – steuert eigene Briefe an Wasja Götze bei, ebenfalls ein heiteres Trotzdem, ein mitunter schwermüti­ges Bekennen von Unerfüllth­eiten in so glitzernd kapitaler Gegend. Böhme hat ein bezaubernd perlendes Nachwort geschriebe­n. Die »unbekümmer­te Tonart« der Briefe täusche, sie seien »Kassiber ... ihre Botschaft lautet: ›Sei vorsichtig, ich bin es auch!‹«

Der Brief ist wahrlich ein besonderes Hand-Werk, es kostet die Stunde, die der Hast abgerungen werden will. Die Zeit, die man sich schreibend nimmt, sie fordert so ganz, dass man sich einer Ruhe hingibt, die mit ein klein wenig Gewicht gefüllt sein möchte. Bartsch nennt es: »Papiere kreuzen« mit Götze. Eine schöne Art zweier Waffenlose­r, das unanfechtb­are Gemeinsame – klingend, klangvoll auszufecht­en.

Kurt Bartsch/Wasja Götze: »In all dem herrlichen Chaos«. Briefe von 1982 bis 1989. Hg. von Irene Böhme. Mitteldeut­scher Verlag, 320 S., geb., Farbabb., 24,95 €.

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