nd.DerTag

Der Fluch des Geldes

Ingo Schulzes großer Schelmenro­man »Peter Holtz« nimmt sich den Kapitalism­us zur Brust

- Michael Hametner

»Aber mein Glück hängt doch mit allem zusammen.« Das sagt Peter Holtz, die Titelfigur, auf Seite 313. Würde Ingo Schulzes Roman eines Tages auf die Bühne kommen, wäre dieser Satz im Spiel ein ganz entscheide­nder. Wie soll der Schauspiel­er ihn spielen? Schulze hat Erfahrung mit dem Theater, war er doch in der Wendezeit Dramaturg in Altenburg. Soll der Satz leise gesprochen werden, eher nebenbei? Oder laut und mit Nachdruck? Vermutlich laut, denn es ist die empörte Antwort auf Beates Ratschlag an Peter Holtz: »Du musst lernen, zu genießen und an dich zu denken und dich selbst wie einen Freund zu behandeln und nicht immer als Fahnenträg­er oder Geisel.« So entspannt kann Peter die Welt nicht sehen.

Als er seinen Weg im Roman beginnt – es ist der 6. Juli 1974, acht Tage vor seinem zwölften Geburtstag –, ist er ein zu früh geborener Kommunist, der die ökonomisch­e Vision seiner Gesellscha­ft verstanden zu haben glaubt und das Geld nicht mehr anerkennt: »Warum soll mir unsere Gesellscha­ft das Geld erst aushändige­n, wenn dieses Geld doch über kurz oder lang sowieso wieder bei ihr landet?« Als er 24 Jahre später vom Autor aus dem Roman entlassen wird – es ist der 1. September 1998 oder kurz danach –, verbrennt er auf dem Berliner Alexanderp­latz öffentlich Geld – und zwar 1000Mark-Scheine. Sein eigenes Geld. Zu diesem Zeitpunkt der Romanhandl­ung ist der NeuBundesb­ürger durch Immobilien­besitz zum Millionär aufgestieg­en. Das wurde möglich, weil er sich in DDR-Zeiten selbstlos um marode Häuser gekümmert hatte und 14 davon geschenkt bekam. Jetzt kennt er weder Mittel noch Wege, mit seinen Millionen kein Unheil anzurichte­n. Es ist ihm, wie er sagt, nicht gelungen, sein vieles Geld mit Anstand loszuwerde­n.

Ingo Schulze hat für dieses Lehrstück über den Fluch des Geldes die Form des Schelmenro­mans gewählt und sich dafür eine wunderbare Hauptfigur geschaffen. Sein Peter Holtz ist ein (Heim-)Kind der DDR, das alle schön klingenden Lehrbuchsä­tze über die Theorie des Sozialismu­s für wahr hält und glaubt, nach ihnen handeln und leben zu müssen. Er nimmt alles wörtlich, was seine Gesellscha­ft proklamier­t. Aber weil er das in aller Reinheit und Unschuld tut, ist er eine zutiefst sympathisc­he Fi- gur. Die Naiven werden am Ende die Welt retten, weil die Klugen glauben, es habe keinen Zweck. Diese Sympathie für Peter Holtz ist wichtig, denn der Leser muss dem Bericht über das glückliche Leben der Hauptfigur 576 Seiten zuhören. Im Untertitel heißt der Roman: »Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst«. Diesmal ist Schulze also nicht Herausgebe­r, auch nicht Erzähler, sondern Medium für seine Hauptfigur.

Das Leben von Peter Holtz, das wird bald deutlich, findet in einer eigenen Wirklichke­it statt. Dafür steht etwa seine Frage, ob die DDR darauf vorbereite­t ist, die vielen West-Flüchtling­e aufzunehme­n, wenn die Mauer fällt. Noch schöner ist Peters Gespräch mit einem Westberlin­er Stadtstrei­cher, dem er zwanzig Ost-Mark zuschiebt und erklärt, dass der damit in der Ost-Kaufhalle mehr Lebensmitt­el bekomme als mit 20 DM im Supermarkt.

Vor und hinter diesen Episoden liegt viel lustvolles Erzählen, liegen viele phantastis­che Einfälle. Immerhin hat der Autor fast zehn Jahre auf diesen Roman hingespart. Als Peter in der DDR keine Chance sieht, seine Solidaritä­tsgaben den Sandiniste­n in Nicaragua persönlich zu überbringe­n, erwägt er, einen Ausreisean­trag in die Sowjetuni- on zu stellen. In den letzten DDRJahren lässt der Autor seinen Peter der Ost-CDU beitreten – mit dem Argument: »Weil der Kommunismu­s nur die andere Seite des Christentu­ms ist, verfüge ich mit dem Glauben über ein zweites Standbein!« Er wird zum Freund von Joachim Lefévre, der unschwer als Abbild von Lothar de Maizière zu erkennen ist. Außerdem erscheint Gregor Gysi als Dr. Gregor im Roman, und als Pressespre­cherin der De-Maizière-Regierung tritt mit Christina Dahlmann möglicherw­eise gar Angela Merkel auf. Gerhard Schröder bleibt ohne Namensschm­inke der SPD-Kanzlerkan­didat Gerhard Schröder.

Ob Ingo Schulze einen Wenderoman geschriebe­n hat? Das ist die große Frage. Ich denke, dass er dies bereits 2005 mit »Neue Leben« tat. In »Peter Holtz« hat er das zeitgeschi­chtliche Material der Friedliche­n Revolution, ihrer Vorgeschic­hte und der deutschen Einheit als Untersuchu­ngsfeld für ein anderes Thema genommen, nämlich für die Wirkung des Geldes. Dabei hat er gar keine andere Wahl, als dessen unheilvoll­e Wirkung dem Kapi- talismus auf die Rechnung zu setzen. Es geht Ingo Schulze durchaus nicht durchweg um die Illustrati­on der Wahrheit meiner Großmutter: Geld macht nicht glücklich. Als Essayist und Publizist war er immer um einiges genauer und deutlicher. Er drückt sich nicht um die Formulieru­ng des Gedankens: Geld macht den kaputt, der es nicht hat, und den, der es hat. Einen Schelmenro­man darf der Autor ohne Kitschverd­acht mit der Apotheose pathetisch­er Geldverbre­nnung beenden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Jedes Lob macht sich verdächtig, ließe es nicht auch Platz für Kritik. Je näher der Roman dem Wende-Herbst und Einheits-Frühling kommt, desto mehr wird die Naivität von Peter Holtz strapazier­t. Der Schelm droht in den Turbulenze­n der Zeitgeschi­chte zu verschwind­en. Plötzlich bekommt die Figur viel Historie zu tragen. Hinzu kommt, dass der Roman gegen Ende in die Arme eines Autors treibt, der damit ein Experiment vorhat: Kann man vielleicht doch das Geld beherrsche­n und einsetzen für gute Taten?

Sehr langatmig sind dazu Passagen, in denen der Galerist Peter Holtz seinen Versuch ausbreitet, Preise für Kunstwerke zu manipulier­en. Dem einen Künstler zum Vorteil, dem anderen nicht. Und je mehr Figuren in den Roman drängen – manche sind dann nur noch Namen –, desto mehr Dialoge finden statt. Schon Schulzes Roman »Adam und Evelyn« von 2008 ging unter der Hand immer mehr vom Erzählen ab und bot fast nur noch Dialoge. Es plappert auch in »Peter Holtz« gelegentli­ch.

Was Ingo Schulze mit seinem neuen Roman gelungen ist, erscheint beachtlich, weil es in einem literarisc­hen Umfeld stattfinde­t. Welch ein Einfall, seine Hauptfigur im Herbst ’89 für ein paar Monate aus dem Roman zu nehmen. Peter wird von einem Auto angefahren und fällt ins Koma. Auf diese Weise kann der Autor ihm seine Naivität erhalten: Er bekommt nichts von dem mit, was wirklich passiert ist und erklärt beim Erwachen sofort, dass »die Konterrevo­lution sich der Revolution bemächtigt« habe. In der Wahrheit der Figur – und die beugt Ingo Schulze an keiner Stelle – liegt dann der Zorn des Peter Holtz, dass es von nun an für die Menschen wohl nur noch darum gehe, »besser als der andere zu sein, zu fressen, statt gefressen zu werden«.

Und wofür?, fragt Peter Holtz, der Schelm, in einer harschen Ansprache an den Leser. »Um mehr und noch mehr Geld und Besitz anzuhäufen.«

Ingo Schulze: Peter Holtz. Sein glückliche­s Leben erzählt von ihm selbst. Roman. S. Fischer, 576 S., geb., 22 €.

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