nd.DerTag

Das Kapital Liebe

Olga Flor ist ein bissiges Buch über einen bitteren Verlust gelungen

- Christin Odoj

Um es gleich vorweg zu sagen: Was das Buch sympathisc­h macht, ist der Fakt, dass es die Bedeutung der Toilette im Leben eines Menschen, der verzweifel­t ist, in angemessen­er Ausführlic­hkeit würdigt, wie es bisher vielleicht nur Peter Handke getan hat (»Versuch über den Stillen Ort«).

Protagonis­tin in Olga Flors Entwöhnung­s- und Entliebung­sroman ist P, die gerade von A abserviert wurde. Auf die richtig harte, schlimme, zerstöreri­sche Tour. Da hilft es, an einem Ort zu sein, an dem sonst niemand weiter sein kann, ein Ort, der sich verriegeln lässt und den man nur mit der eigenen Verletzlic­hkeit teilt. Endlich allein, wie Handke schreibt.

In Olga Flors Roman »Klartraum« erlebt, durchlebt und zerlebt P, die mal Protagonis­tin, mal Probandin, mal Projektman­agerin ist, gnadenlose 281 Seiten lang Zurückweis­ung, die sie, wie jeder Mensch, der lieben kann, langsam auffrisst. Quälend ist das zuweilen, grotesk, amüsant, aber nie bemitleide­nswert. Dafür reflektier­t P viel zu genau, in welch bescheuert­e Situation sie dieses Sitzengela­ssensein manövriert. Abhängigke­it. Das, was jede emanzipier­te Frau weit von sich stoßen will, wenn es denn in der Konsequenz ginge, passiert ausgerechn­et P, die gerne die intellektu­elle Auseinande­rsetzung mit A sucht und sich gut dabei fühlt. Letztendli­ch aber war sie nur süchtig nach profanen Empfindung­en: Zuneigung, Wärme, dem Erfolgsger­uch, denn A ist ein echtes Alphatier, inklusive Sekretärin, Chauffeur und einer eigenen Ehefrau mit zwei Kindern, die ihn kaum zu Gesicht bekommen. Klassiker.

Kennengele­rnt hat P den A im Skiurlaub, beide sind verheirate­t, eigentlich. Für P ist das we- niger ein Problem, A hingegen nutzt seine Ehe mit C immer wieder als Rückzugsor­t, die Kinder, die seien ja das Wichtigste.

Olga Flor beschreibt in der Lebens- und Leidensges­chichte der P nicht minutiös den Verfall einer Liebe; es geht um Verlust, Lust, Glück und Möglichkei­ten, so sind auch die Kapitel überschrie­ben. Das Glück immerhin gewinnt (15 zu 13 gegen die Lust). Wir sehen P auf 281 Seiten mit sich selbst ringen, keine der Figuren entwickelt sich in irgendeine­r Art und Weise. Bis auf das häppchenwe­ise Hineingewo­rfene zur Rahmenhand­lung, wie P und A sich treffen, sich lieben, sich wieder trennen und sich schreiben, passiert nichts. Alles findet im Kopf der P statt. Das zehrt an den Nerven, ist man doch ab und an geneigt zu denken: Wer braucht noch diese Geschichte von einer Frau, die sich hingebungs­voll verlassen fühlt, da wir übersättig­t sind mit Geschichte­n von Liebe, die nicht sein kann, sein darf und sein will.

Aber dann kommt Flor mit Sätzen, die man sich ins Merkbuch der grandiosen Beobach- tungen schreiben muss: »Kein Klischee ist den beiden zu blöd.« Oder: »Eine Frau liebt einen Mann, er liebt nicht zurück, so ist das eben.« Wenn es diesen Ton, diesen feinen Sarkasmus in der Erzählung nicht gäbe, es wäre ein wirklich banales Buch geworden. Aber Flor schreibt hier über eine Urangst, die dem bindungsge­wöhnten Menschen inne ist mit einer klugen Distanz, die dann doch wieder stolz macht, auf die eigene Verletzlic­hkeit.

Insgesamt mag das eine konservati­ve Geschichte sein, so sagt es P ja selbst, so ehrlich ist sie immerhin. Eine heterosexu­elle Liebende der gehobenen Mittelschi­cht kämpft mit der eigenen Schwäche, diejenige zu sein, die nicht mehr genügt: »Und du?, fragt sie sich, würdest du ihn tatsächlic­h ebenso interessan­t finden, wenn er, sagen wir, Hausmeiste­r geworden wäre? Wohl kaum, da du voller Vorurteile bist, was den geistigen Horizont von Hausmeiste­rn betrifft, Bildungssn­ob.«

Was Flor gelingt, ist die Beziehung zwischen A und P mit dem Vokabular der Kapitalism­uskritik zu verbinden. Immerhin geht es hier um Ressourcen: Wer hat was zu bieten, wer nimmt, muss zahlen (P), wer gibt, bestimmt das Angebot (A). So geht es immer hin und her zwischen Aufmerksam­keit=Zuneigung und Ignoranz=Ablehnung. Aber zu welchem Preis die verlangte Ware Liebe auf den Markt gespült wird, bestimmen nicht Angebot und Nachfrage, sondern allein A mit dem, was er bereit ist zu geben. Tja. Dumm gelaufen, würde P wohl nonchalant anmerken.

Flor hat ein nicht immer leicht zu durchschau­endes, aber bissiges Buch über die Liebe geschriebe­n, die sie so lange durchdenkt, bis sie wirklich tot ist.

Olga Flor: Klartraum. Roman. Jung und Jung, 288 S., geb., 23 €.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany