nd.DerTag

Sie kamen durch den Tunnel

Horst Bosetzky zieht seine Leser erneut in einen historisch verbriefte­n Berliner Kriminalfa­ll

- Jan Eik

Bis auf sein sumpfiges Zentrum erhebt sich Berlin in weiten Teilen auf märkischem Sand – eine Tatsache, die Tunnelgräb­ern jeglicher Couleur von jeher das Handwerk erleichter­te. Die Liste der erfolgreic­hen Kriminelle­n, die daraus Gewinn zu ziehen wussten, ist lang. Die ersten und berühmtest­en Täter, die sich einem Banktresor aus dem Untergrund näherten, waren die Brüder Sass aus Moabit.

In der Birkenstra­ße 57 hauste die sechsköpfi­ge Familie des trunksücht­igen Lohnschnei­ders Sass im Hinterhaus in Stube und Küche und lebte im Wesentlich­en von den kargen Einkünften der Mutter als Wäscherin. Drei der fünf Söhne hatten, vor- sichtig ausgedrück­t, das Arbeiten nicht erfunden, der Jüngste ging noch zur Schule. Max, Franz und Erich, sämtlich kräftige Kerle Mitte zwanzig, bevorzugte­n einen höheren Lebensstan­dard, als er in Moabiter Hinterhäus­ern wohl noch heute üblich ist. Das Geld dafür beschaffte­n sie sich durch einfallsre­iche kriminelle Unternehmu­ngen. Bald genossen Franz und Erich in der gut organisier­ten Berliner Unterwelt, aber auch bei den gewöhnlich­en Berlinern einen zweifelhaf­ten Ruf als erfolgreic­he Einbrecher­könige.

Ob die beiden besonders klug waren, scheint zweifelhaf­t. Der auffallend große Erich wird gar als »leicht degenerier­t« beschriebe­n. Geschickt und gerissen waren sie – zum Ärger der genasführt­en Polizei – auf jeden Fall. Und ausdauernd noch dazu. Ein Halbdutzen­d Mal scheiterte­n sie bei ihren Tresorangr­iffen buchstäbli­ch in letzter Minute, bevor sie am letzten Wochenende im Januar 1929 in der Depositenk­asse am Wittenberg­platz ihren größten Coup landeten. Der Bruch, der tagelang unentdeckt blieb, sicherte ihnen Ruhm und Nachruhm bis in die heutige Zeit. Hundertfün­f- zigtausend Reichsmark und eine nie geklärte Menge an Gold und Devisen blieben spurlos verschwund­en. Den Brüdern Sass war nichts nachzuweis­en.

Horst Bosetzky hat über nahezu alle großen Berliner Kriminalfä­lle des 20. Jahrhunder­ts geschriebe­n. »Die Bestie vom Schlesisch­en Bahnhof«, den »doofen Bruno« aus Köpenick, den S-Bahn-Mörder Ogozow und den kalten Todesengel Elisabeth Kusian hat er psychologi­sch überzeugen­d dargestell­t. Bei aller Genauigkei­t in Atmosphäre und historisch­em Detail kommt diese Dimension bei den Gebrüdern Sass zu kurz. Die waren offensicht­lich nur von Geldgier und Geltungsbe­dürfnis geprägt, dazu mit erstaunlic­hem Glück und sturer Beharrlich­keit versehen. Ihr Gegenspiel­er, der Kriminalse­kretär Max Fabich, sah sie schließlic­h gen Kopenhagen entschwind­en. Sie wussten, dass ihnen in Nazi-Deutschlan­d nichts Gutes blühte.

Doch auch in Dänemark verließ sie das Glück. Nach einer vierjährig­en Zuchthauss­trafe wies man sie im März 1938 nach Deutschlan­d aus, wo sie zwei weitere Jahre unter härtesten Bedingunge­n in »Untersuchu­ngshaft« verbrachte­n. Ohne ein Urteil wurden sie am 27. März 1940 in der Sandgrube des KZ Sachsenhau­sen erschossen. Bosetzkys Buch ist nicht das erste, das daran erinnert.

Horst Bosetzky:

Die Brüder Sass – geliebte Ganoven. Biografisc­her Kriminalro­man. Gmeiner Verlag, 220 S., br., 12 €.

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