nd.DerTag

Das tschechisc­he Raumschiff

Jaroslav Kalfarˇ blickt von weit weg auf sein Land – herrlich ironisch und bittererns­t zugleich

- Irmtraud Gutschke

Am Beobachtun­gsfenster glitt ein Schatten vorbei: kleine Hundeschna­uze, gespitzte Ohren, weit aufgerisse­ne schwarze Augen, »in denen sich die blinkenden Lichter der Unendlichk­eit spiegelten«. Das konnte nur die Hündin Laika sein, »konservier­t durch die Gunst des luftleeren Raums, der zersetzend­en Wirkung des Sauerstoff­s entzogen«.

Ob Jakub Procházka auch einmal so enden würde? Dass er sein Raumschiff »JanHus 1« bald wegen einer Havarie verlassen muss und der tschechisc­he Staat ihm ein Denkmal setzen wird, weiß er im Moment noch nicht. Auch nicht, dass just im letzten Moment sich aus einem anderen Raumschiff helfende Hände strecken werden. Er wird gerettet, aber »Nascha Slawa 1« würde ihn nicht in sein Land zurückbrin­gen, wo er seine Lenka wiederzutr­effen hofft. Er würde wohl nach Russland gebracht, damit er seine Weltraumge­heimnisse preisgibt. Also wehrt er sich – sogar durch einen Mord ...

Von Jaroslav Kalfařs Roman »Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt« darf man eine Menge Action erwarten, allerdings auf die eher fröhliche, unterhalts­ame Art. Das kann uns schon der Titel verspreche­n. Böhmische Raumfahrt? Das kann doch nicht ernst gemeint sein. Allerdings, verstehen kann man es schon, wenn ein Staatspräs­i- dent einer Raumfahrer­nation vorstehen möchte. Dem Patriotism­us würde das Auftrieb geben. Immer geht es doch um solcherart höhere Ziele – ob im kommunisti­schen oder nationalis­tischen Sinne, immer sind einzelne Menschen nicht davor gefeit, von den jeweils Mächtigen dafür ausgenutzt zu werden. Man packt sie bei ihrem Idealismus, schickt sie auf eine gefährlich­e Mission wie Jakub oder verführt sie zu schrecklic­hen Taten wie seinen Vater.

Jakubs Vater hörte in seiner Freizeit Elvis-Platten und verhörte im Dienst »Staatsfein­de«. Gewaltsam. Einer der Gequälten erscheint eines Tages bei den Großeltern mit einem eisernen Schuh. Da sind die Eltern bereits tot, bei einem Seilbahnun­glück ums Leben gekommen. Vorher aber hatte die »Samtene Revolution« sie »auf die falsche Seite der Geschichte« gerückt. »Meine Eltern haben sich ein gutes Leben für mich gewünscht: ein Leben in guter Kameradsch­aft mit meinem Land, ein Leben im Dienst der Welt, die sich im Sozialismu­s vereint«, denkt Jakub zu Beginn des Romans. Und ein paar Seiten später: »Ich bin ein Kind der Verlierers­eite.«

Wie oft mag es schon vorgekomme­n sein, dass jemand einen Makel in seiner Biografie zu kompensier­en sucht? Nicht, dass Jakub Procházka erpresst worden wäre, aber er hat wohl ei- nen besonderen Ehrgeiz entwickelt, seinem Land zu dienen.

Diese Handlungsl­inie allein hätte einen Roman tragen können. Man staunt, wie leichthin und dabei wie präzise gerecht Jaroslav Kalfař die Umbrüche in Tschechien seit 1989 erfasst. Vielleicht gelingt ihm das so gut, weil er von weit weg auf sein Land blickt. Er ist jetzt 28 Jahre alt und hat die sozialisti­sche Zeit als Kind nur in ihren Nachbeben von 1989 erlebt. Als Teenager kam er in die USA, wo bereits seine Mutter lebte.

Sein Vater war, nach Bekunden des Autors, anders als der von Jakub im Buch, kein Kom- munist. Weil er sich geweigert hatte, der Partei beizutrete­n, war er aus der Universitä­t ausgeschlo­ssen worden. Er arbeitete in einer Fabrik und schaute sich in seiner Freizeit mit dem Sohn Science-Fiction-Filme an. »Man könnte also sagen, ich habe schon mit fünf Jahren angefangen, für diesen Roman zu recherchie­ren«, so Kalfař, der inzwischen US-Bürger ist und an der New York University in Jonathan Safran Foer seinen Mentor fand.

Dabei wurzelt sein Talent nicht nur in seinem Einfallsre­ichtum, seiner Fabulierlu­st, seiner Sprachkraf­t, seinem Witz, sondern auch im Vermögen, ja im Bedürfnis, die Dinge von anderen Standpunkt­en als den eigenen, gewohnten aus zu sehen.

»Einen Vater zu haben, der urplötzlic­h von einem Helden zu einem Verbrecher wird«, diese Idee habe ihn fasziniert, meint Jaroslav Kalfař. Welchen Widerstrei­t ein Sohn da mit sich auszufecht­en hat, durchzieht das ganze Buch. Unrecht gebiert Unrecht. Ob das wohl immer so weitergeht?

Jakubs Weltraummi­ssion hat mit einem Politiker zu tun, der als einstiger Verfechter der Freiheit nun mit Hilfe der nationalen Idee auf Stimmenfan­g geht. Es gibt aber auch die Leidenscha­ft des Wissenscha­ftlers Jakub Procházka, die ominöse »Chopra-Wolke« zu erforschen, sein Verantwort­ungsgefühl, weil diese für die Erde eine Bedrohung ist.

Und es gibt ein Geheimnis. Was er vor der Bodenstati­on geheim hält: Ein seltsames Wesen ist im Raumschiff aufgetauch­t, eine Riesenspin­ne, die Nutella liebt und großes Interesse an Jakubs Gedanken zu haben scheint. Bald kann er mit ihr kommunizie­ren. »Hanus« nennt er sie.

Ein Freund in der Einsamkeit, denn seine Lenka hat sich offenbar von ihm getrennt. Er weiß weder wieso, noch wo sie ist. Also stimmt er zu, dass sich der Geheimdien­st auf ihre Spuren setzt. Also wieder Observieru­ngsakten. Insofern hat Jaroslav Kalfař auch eine Liebesgesc­hichte geschriebe­n. Auch Männer, die sich nicht gerade auf Weltraummi­ssion begeben, sind in Gefahr, von ihren Liebsten verlassen zu werden. Einfach, weil sie gänzlich von ihren eigenen Interessen und Zielen beherrscht sind und die Frau an ihrer Seite schon kaum mehr wahrnehmen können.

Immer wieder dieses Pendeln zwischen Ironie und Ernst im Roman. »Ich fühle mit dir, dünner Mensch«, sagt »Hanus«. Dabei hat dieser »dünne Mensch« in der Angst vorm Tode mit nichts weniger als der Frage nach dem Sinn des Lebens zu tun. Zu viel gewollt und deshalb seine Liebe verloren? Was tut man nicht alles aus Furcht vor dem Chaos? Will alles regeln, alles kontrollie­ren.

Und was bleibt am Schluss? Vielleicht nur das eigene Ende. Oder das: ein zerfallene­s Haus, ein verwildert­er Garten und die Möglichkei­t, »frei von Systemen« in einer eigenen kleinen Welt heimisch zu sein.

»Wir waren unsichtbar, und in diesem langsamere­n Leben waren wir unsere eigenen Götter.«

Jaroslav Kalfarˇ: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt. Roman. A. d. Am. v. Barbara Heller. Tropen Verlag, 366 S., geb.,22 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany