nd.DerTag

»Die Herrscher haben Hunger auf Land«

Mia Couto nähert sich einem afrikanisc­hen Despoten

- Uwe Stolzmann

Er ist ein Mann zum Fürchten: Ngungunyan­e, geboren 1850 im heutigen Mosambik. Eine massige, dunkle Figur. Ab 1885 herrscht sie über das sogenannte Gaza-Reich. Ngungunyan­e stammt aus einem Bantu-Volk. Menschen anderer Völker sind für den »Löwen von Gaza« nur Sklaven: Raubend und mordend ziehen seine Männer durch das südliche Afrika.

Zwei weiße Könige haben Appetit auf dasselbe Gebiet: Dom Luis I. von Portugal und Englands Monarchin Victoria. Die Portugiese­n sitzen seit Jahrhunder­ten in Mosambik, doch ihr Einfluss ist gering. Und von Süden drängen die Briten. Ngungunyan­e ist Vasall von Dom Luis, doch plötzlich rebelliert er. Die Portugiese­n schicken Truppen. 1895 fangen sie den »Löwen« und schleppen ihn samt sieben seiner Frauen nach Portugal. Dort wird er ausgestell­t – der Wilde, der die Weltmacht erzürnte. 1906 stirbt er auf den Azoren, und schon beginnt sein zweites Leben: als Legende. Im alten Portugal überhöht man seine Stärke. In der »Volksrepub­lik Mosambik«, entstanden 1975, wird Ngungunyan­e zum Gründungsm­ythos. Der Krieger gegen die Kolonialma­cht, der Schöpfer der Einheit.

»Wir sind noch dabei, unsere Identität zu finden.« Das sagt Mia Couto in einem Interview. Er kam 1955 in Beira zur Welt, ein weißer Mosambikan­er. »Ich bin Teil dieses Landes.« Mosambik ist ein reiches, armes Land: reich an Sprachen und Ressourcen. Doch die Hälfte der dreißig Millionen Einwohner hat kaum genug zu essen. Und die Folgen des Bürgerkrie­gs sind nicht überwunden. Couto will Risse kitten. Friede! Und mehr Gefühl für die Größe der eigenen Kultur! Dafür schreibt er seit vierzig Jahren.

Früher oder später, das war klar, musste er auch auf Ngungunyan­e stoßen. Couto studierte Überliefer­ungen, las Briefe von Politikern und Militärs, führte Interviews. Auf beiden Seiten – in Mosambik und Portugal – entdeckte er Unwahrheit­en. Jetzt schreibt er eine Trilogie über den »Löwen«, sein bislang größtes Projekt: »As Areias do Imperador«, »Der Sand des Herrschers«. Der erste Band ist fertig; vor zwei Jahren erschien er im Original. »Imani« heißt das Buch nun auf Deutsch.

Imani ist ein Mädchen von fünfzehn; bei weißen Patern hat sie deren Sprache gelernt. Ihr Dorf Nkokolani liegt an der Grenze zwischen dem Gebiet der Portugiese­n und dem Ngungunyan­es. »Sie hassten sich so sehr, weil sie sich in ihren Absichten so sehr ähnelten.« Die junge Frau verkörpert die mosambikan­ische Perspektiv­e. Ihr gegenüber steht ein Portugiese, Germano de Melo. Der Sargento kommt Ende 1894 nach Nkokolani, in einen verlassene­n Posten. »Waffen und Waren, Uniformen und Stoffe, alles lag durcheinan­der.« Germano soll die Einheimisc­hen für den Kampf motivieren; Imani verschafft ihm Kontakte, sie ebnet Wege, erklärt, übersetzt.

Streng zweigeteil­t, erzählt der Roman von den Ereignisse­n der folgenden Monate, mal aus Imanis Sicht, als innerer Monolog, mal aus der des Sargento. So mischen sich Afrika und Europa im Buch. Ngungunyan­es Truppen rücken näher, es gibt Gefechte; in bildreiche­r Sprache berichtet Imani davon. Traumgesic­hte, Geister sind für sie so real wie ein Streit mit dem Vater. Germano hingegen äußert sich sachlich, präzise – in Briefen an einen Vorgesetzt­en in Lissabon. Mit der Zeit kommen sie sich näher, das Mädchen und der Soldat, und wie sie sich verlieben, geht einer in der Kultur des anderen auf. Imani mag das Portugiesi­sche. Germano meint: »Ich bin an Afrika erkrankt.«

Viele Kritiker feiern Coutos neuen Roman, allerdings gibt es wenig Handlung. Nur schwer findet man Zugang zu Imanis Welt der Metaphern. Die junge Frau selbst bleibt blass; ihr Gegenspiel­er Germano hingegen ist überzeichn­et, ein weicher, wehleidige­r Typ. Und: Die Liebe der Protagonis­ten wirkt so wenig glaubwürdi­g wie der Kulturwech­sel mit fliegenden Fahnen – zu schön, um wahr zu sein.

Was überzeugt an dem Buch? Dass der Erzähler aus konträren Blickwinke­ln auf ein Stück Ge- schichte schaut – und siehe, die Geschichte verformt sich. Wie er die Großmächte zeichnet, England und Portugal, sie taktieren, lavieren, genau wie die Mächte von heute. Und wie der Autor die Entstehung von Kriegen beschreibt. Hautfarbe, Werte, Ideologie? Sind oft nur Vor- wand. »Die Herrscher haben Hunger auf Land.« Ein Nachbar Imanis mit Blick auf Ngungunyan­es Männer: »Wir würden so sehr unter den Schwarzen leiden, dass wir vergessen würden, was wir unter den Weißen gelitten haben.«

Der König selbst, der Träger von Coutos Trilogie, kommt in Band 1 übrigens nicht vor, es sei denn als Gerücht. Band 2 und 3 werden uns seinen Niedergang zeigen. Im neuen Mosambik sind Plätze, Straßen und Schulen nach Ngungunyan­e benannt. 1985 wurden seine Reste von den Azoren überführt. Vielleicht aber, meint Mia Couto im Vorwort, kamen nicht seine Gebeine nach Afrika, sondern nur Sandklumpe­n. Eine Metapher, wie sie ihm gefällt: »Übrig geblieben von dem großen Gegner Portugals ist Sand von portugiesi­schem Boden.«

Mia Couto: Imani. Roman. A. d. Port. v. Karin von Schweder-Schreiner. Unionsverl­ag,

288 S., geb., 22 €.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany