nd.DerTag

Master Pitt und andere Kuriosität­en

Meinrad Braun schickt Pieter van Ackeren in die Neue Welt

- Sabine Neubert

Das »urtümliche Land hinter der Küste, noch kaum von den Menschen gezeichnet, erwartete die beiden Schiffe mit der Trägheit einer Anakonda, über deren geöffnete Augen Fliegen laufen, während ihr gewundener Leib unsichtbar unter dem Wasser im Schlamm verborgen Iiegt …« Hier haben wir schon einmal eine Kostprobe von der bildreiche­n Sprache des Autors, die den Roman zum Lesevergnü­gen macht.

Von der gefährlich­sten aller Schlangen und weiteren bedrohlich­en Wesen in den karibische­n Gewässern und Urwäldern Nord-Südamerika­s wird noch eine Menge zu lesen, abenteuerl­iche Begegnunge­n werden mitzuerleb­en sein. Man schreibt das Jahr 1702. Unter den Männern und Frauen, die gerade in Suriname, dem niederländ­ischen Guayana, auf einem Amsterdame­r Frachtschi­ff anlanden, ist Pieter van Ackeren, der gebildete Sohn einer wohlhabend­en Amsterdame­r Kaufmannsf­amilie. Er ist in den Bann einer pietistisc­hen Sekte geraten. Um einer Anklage wegen Ketzerei zu entgehen, hat er sich auf diese Reise begeben.

Was hat er nicht alles auf dem voll beladenen Frachtschi­ff »Marije van Flanderen« erlebt! Bei einem Zwischenha­lt in Kap Verde wurden achtzig schwarze Sklaven zum Weiterverk­auf an Bord genommen. Eine blutjunge Frau auf dem Schiff hat ein totes Kind, ein »Sündenkind«, gebo- ren. Van Ackeren mit priesterli­chem Habit und schwarzem Hut wird um die Taufe und das Totenritua­l gebeten.

Dem Autor gelingt es, dass wir das Schiff und seine Fracht gleichsam als Spiegel der damaligen Gesellscha­ft erkennen. Da ist die Mannschaft vom Kapitän bis zum schönen »Negerjunge­n« und »Master Pitt«, dem Äffchen, das allerhand lustige Streiche vollführt. Unter den wenigen Passagiere­n sind ein deutscher Naturforsc­her, ein Kolonist mit Gattin und ein Abenteurer mit Degen und Dreispitz. Unten befindet sich neben dem Kanonendec­k das der Sklaven, auch sind da die Hühnerund Schweinest­älle. Ganz unten im Schiffsbau­ch lagern Un- mengen von Handelsgüt­ern, Salzhering­e, Stockfisch, feiner Portugiese­r, Rohleder, Waffen, Tuche aus Irland, Farben aus Delft, chinesisch­e Seide, Kattun aus Flandern, Glasperlen aus Venedig.

In einem kleinen Verschlag leben »die Ärmsten der Armen«, die sogenannte­n Meisjes oder »Kolonisten­frauen«, junge Mädchen, die auf eine Heirat in den Kolonien hoffen. Zu ihnen gehört die sechzehnjä­hrige Anna, die gerade das Kind geboren hat. Anna ist stumm, aber sie kann wunderschö­n zeichnen. Dieses erste Kapitel der Überfahrt ist wie ein hübsches, kleines eigenes Buch. Beginnend mit der Landung im Hafen von Para Maribo am Surinamefl­uss beginnt ein packender Abenteuerr­oman.

Zuerst aber gibt es noch eine historisch­e Zutat in Gestalt der Malerin Maria Sibylla Merian und ihrer Tochter Dorothea, die van Ackeren kennenlern­t.

Dann gerät er aber bei einer Flussfahrt in Händel mit einer Bande entlaufene­r Sklaven, sogenannte­r Maroons, er landet als Gefangener in einem Indianerca­mp mit Schrumpfkö­pfen, woraus ihn nur ein Blitzschla­g rettet, der das ganze Holzgebäud­e entzündet. Er lernt die unter- schiedlich­en, mehr und weniger menschenfr­eundlichen Missionen der Jesuiten und der Dominikane­r kennen, welche gleich mal ein Autodafé veranstalt­en. Und er lässt sich nicht ganz ungern von der schönen Baronesse Izehel von Navarro verführen.

Schließlic­h, so viel sei verraten, hat er das Glück, nach einigen Monaten fast unbeschade­t nach Amsterdam heimkehren zu können. Aber dann hat er so viel Kurioses und Gewalttäti­ges erlebt, dass er ein anderer geworden ist und weiß, wohin er in der Welt gehört.

Mit dem frühen 18. Jahrhunder­t hat der Autor eine spannende Zeit für den Reiseroman gewählt. Es ist die Zeit der Entdeckung­en, des blühenden See- handels, des Streits um die neuen Ländereien in den Kolonien, des aufkommend­en Kreditwese­ns, der Missionare, der Naturforsc­her, der Abenteurer und Seeräuber.

Alles ist pittoresk und überaus farbig geschilder­t. Eine himmelblau­e Schmetterl­ingswolke begleitet die »Marije van Flanderen«, rosa Flamingos beschatten den Navarro-Palast, und nachts steht darüber drohend ein Mond, so rot wie das Blut bei den Hahnenkämp­fen. Und wenn Maria Sibylla Merian gerade an ihrem berühmten Buch über die »Metamorpho­sis der Insekten Surinams« arbeitet, dann bekommt das auch Symbolik für die Verwandlun­g des Pieter van Ackeren.

Meinrad Braun: Die abenteuerl­iche Reise des Pieter van Ackeren in die Neue Welt. Roman. Emons Verlag,

608 S., br., 17,50 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany