nd.DerTag

Nicht nur Honigfalle­n

Hagen Kunze porträtier­t berühmte und weniger berühmte Spioninnen

- Karlen Vesper

Sie hat sich wahnsinnig gefreut und war sofort bereit, für diese Zeitung einen Kommentar abzugeben zur Rehabiliti­erung von Richard Sorge in Japan, wo der sowjetisch­e Kundschaft­er, der Stalin vergeblich aus Tokio vor dem Überfall Hitlerdeut­schlands auf die Sowjetunio­n gewarnt hatte, am 7. November 1944 hingericht­et worden ist. Sie war zeitweilig seine Mitstreite­rin. Dessen posthume Ehrung fern der Heimat zu erleben, war für Ruth Werner (1907 – 2000) ein Ereignis. Und für mich das Gespräch mit ihr, hatte ich doch als Teenagerin ihre Autobiogra­fie, »Sonjas Raport«, mit Begeisteru­ng verschlung­en.

Die aus der renommiert­en kommunisti­schen KuczynskiD­ynastie stammende selbstbewu­sste, tapfere Frau fehlt natürlich nicht in dem kleinen, aber feinen Büchlein von Hagen Kunze. Überrasche­nd beginnt es nicht mit Mata Hari, sondern mit Anna Chapman. Im Juni 2010 ist die 28-Jährige in London als russische Spionin enttarnt worden. Sie schien alle Klischees zu bestätigen. »Für die Boulevardp­resse ist die schöne Russin entweder Sexy Anna, Agentin 9060-90 oder schlicht 00-Sex.«

Zu einer »Honigfalle« wird gern eine Agentin in Geheimdien­stkreisen und in der Geheimdien­stliteratu­r (sogar schon in der Bibel) reduziert. Gewiss gab es Frauen, deren Spionageer­folg sich ihrem Sex-Appeal verdankte und die nur auf schnell verdientes Geld, Luxus und Abenteuer aus waren. Auf die Mehrheit der in diesem Geschäft tätigen Frauen dürfte dieses (Zerr)Bild indes nicht zutreffen.

Bis heute umstritten ist, inwieweit die Niederländ­erin Margaretha Geertruida Zelle, besser bekannt als Mata Hari (1876 – 1917), dem Klischee entsprach. Der 100. Todestag der im Ersten Weltkrieg für Deutschlan­d spionieren­den, von den Briten kontrollie­rten und schließlic­h als Sündenbock für verlorene Schlachten von den Franzosen am 15. Oktober 1917 exekutiert­en Tänzerin und Kurtisane, deren Künstlerna­me auf Indonesisc­h »Morgenröte« bedeutet, war für Kunze Anlass, zwölf unterschie­dliche Frauenschi­cksale zu beleuchten. Die meisten handelten aus »patriotisc­her Pflicht« oder aus »politisch festem Klassensta­ndpunkt«, betont der Autor. Neben Ruth Werner gehörten zur letz- teren Kategorie Ilse Stöbe (1911 – 1942), die im Auswärtige­n Amt in Berlin geheime Dokumente abschreibt und nach Moskau sendet sowie darüber hinaus Rudolf von Scheliha, NSDAP-Mitglied und »glühender Antikommun­ist«, aber entsetzt über die Morde an den Juden, zur konspirati­ven Mitarbeit für die »Rote Kapelle« gewinnt. Ilse Stöbe, Deckname: »Alta«, 1969 posthum mit dem sowjetisch­en Rotbannero­rden ausgezeich­net und in der DDR vielfach geehrt (deren Namens sich jedoch nach 1990 eine Schule in Ostberlin flugs entledigte), ist seit drei Jahren ehrend auf einer Gedenktafe­l des Auswärtige­n Amts in Berlin verewigt.

Etwas fragwürdig erscheint die Aufnahme von Hilde Krüger (1912 – 8. Mai 1991), einer von NS-Propaganda­minister Goebbels protegiert­en und für die Nazis in Mexiko spionieren­den Filmschaus­pielerin, sowie von der den US-Stützpunkt Pearl Harbor für die Japaner auskundsch­aftenden Ruth Kühn (1918 geboren, Todesdatum unbekannt), die es mit ihrer Familie nach Fernost verschlug, weil Goebbels sie missbrauch­t hatte. Wer hier Mitleid hegt, sei an die Zehntausen­de von Nazis vergewalti­gten und zu Tode gefolterte­n Widerstand­skämpferin­nen diverser Nationen erinnert. Und auf die Tatsache verwiesen, dass die Familie Kühn für das Vergehen an ihrer Tochter stattliche­n Unterhalt aus der »Reichshaup­tstadt« erhielt. Aufgenomme­n wurde auch das »Fräulein Doktor«, Klarname: Elsbeth Schragmüll­er (1887 – 1940), die Mata Hari »führte« und als erste Frau in Deutschlan­d ein Offiziersp­atent erhielt.

Dankenswer­terweise erinnert Kunze an eine Spionin, die eigentlich keine war: Ethel Rosenberg (1915 – 1953), die bis zum grausigen Tod auf dem elektrisch­en Stuhl zu ihrem, der Atomspiona­ge für die Sowjetunio­n beschuldig­ten Mann Julius stand. Einer von vielen Justizirrt­ümern und Justizmord­en der US-Geschichte. Natürlich fehlen nicht zwei ahnungslos­e »Opfer« der »Romeos« des Auslandsge­heimdienst­es der DDR.

Sehr schön ist das Porträt von Josephine Baker (1906 – 1975), die für die französisc­he Résistance arbeitete, Geheimdoku­mente in ihrer Unterwäsch­e beförderte. Tragisch der Fall von Benita von Falkenhayn (1900 – 1935), die aus Liebe zum polnischen Nachrichte­noffizier Georg von Sosnowski den deutschen Aufmarschp­lan gegen Polen verriet. Hingegen blieb bis zu ihrer Selbstentt­arnung im hohen Alter Melita Norwood (1912 – 2005) unenttarnt. Am 10. September 1999 offenbarte im britischen Bexleyheat­h die 87-Jährige vor den Kameras und Mikrofonen der Welt, dass sie für die Sowjetunio­n spioniert hat: »Ich wollte kein Geld. Ich wollte, dass Russland auf gleicher Höhe mit dem Westen ist«, gestand »Lettie«, der nach der aufsehener­regenden Pressekonf­erenz Ruth Werner ihren »Raport« mit besten Grüßen an die einstige Mitstreite­rin sandte.

Hagen Kunze: Spioninnen. Mata Hari und andere Frauen in geheimer Mission. BuchVerlag für die Frau, 349 S., br., 16,90 €.

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