Keine harmlosen Spinner und Querulanten
Jan Rathje warnt vor sogenannten Reichsbürgern, Selbstverwaltern und Souveränisten
Es ist überhaupt nicht lustig, was sich in Deutschland abspielt. Und wozu der Staat bislang schwieg, was er sehenden Auges tolerierte. Wo bleibt die wehrhafte Demokratie, die immer wieder in Sonntagsreden der Politiker beschworen wird?
Neben AfD, Pegida und NPD gibt es zahlreiche weitere rechtskonservative respektive rechtsextreme Gruppierungen, die ungehindert walten und schalten durften und dürfen. Darunter die »Reichsbürger«, die den Staat mit seinen demokratischen Organen nicht anerkennen, keine Steuern und Bußgelder zahlen und – schlimmer noch – allen Ernstes behaupten und sich darauf berufen, dass das Deutsche Reich aus Kaisers Zeiten noch existiere: in den Grenzen von 1937! End- lich, erst seit den tödlichen Schüssen eines »Reichsbürgers« auf einen Polizisten im Oktober vergangenen Jahres, werden diese gefährlichen Typen, die bei weitem nicht nur »Spinner« oder »Querulanten« sind, als ein ernstes gesellschaftliches Problem wahrgenommen.
Die unterschiedlichen, miteinander konkurrierenden, sektenmäßig organisierten Gruppierungen der sogenannten Reichsbürgerbewegung hat sich jetzt Jan Rathje einmal genauer angeschaut. Denn: »Für viele bilden sie ein großes Mysterium ... Einige spielen Reichsregierung, andere gründen eigene Staaten auf ihrem Grundstück.« Deshalb diskutiert der Autor zunächst Begriffe und Definitionen. Sodann geht er auf die abstruse Welt- verschwörungstheorie gegen Deutschland ein, untersucht historische Ursprünge und ideologische Wurzeln auch in dem antisemitischen Machwerk aus zaristischer Fälscherwerkstatt, den »Protokollen der Weisen von Zion«. Er seziert den Geschichtsrevisionismus der »Reichsbürger« und deren Leugnung des Holocausts.
»Das Skurrile weicht der Erkenntnis des Gewaltpotenzials. So häufen sich dann auch die Meldungen über Waffen-, Munitions- und Sprengstofffunde«, so Rathje. Die Staatsanwalt- schaft ermittelt inzwischen gegen eine Gruppierung wegen des Verdachts auf Bildung einer rechtsterroristischen Vereinigung. Die Anzahl der männlichen und weiblichen Anhänger muss sukzessive nach oben korrigiert werden. Waren es im Jahr 2012 offiziell noch wenige Hundert, so bezifferten Sicherheitsbehörden die Zahl der dem Milieu zugehörigen Personen im Dezember 2016 bereits auf ca. 5000, im Januar 2017 auf 10 000 und im Mai 2017 auf 12 600. Und deren Militanz nimmt zu. Rund 13 000 Straftaten werden den »Reichsbürgern« seit deren Erfassung zugerechnet, davon 750 Gewaltdelikte.
Seit Jahr und Tag warnen besorgte Demokraten, wie etwa die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic oder die Linkspolitikerin Ulla Jelpke. Sie fordern vehement den Verfassungsschutz zu energischer Beobachtung und Ermittlungsbehörden zu konsequenterem Handeln auf. Rathje konstatiert: »Das Milieu der ›Reichsbürger‹, ›Selbstverwalter‹ und ›Souveränisten‹ wurde in der Vergangenheit, abgesehen vom Bereich der klassisch organisierten extremen Rechten, unterschätzt.« Er verlangt, dass »neben dem geäußerten Rassismus auch der verschwörungsideologisch motivierte Antisemitismus, in Form des Wahns des bedrohten Deutschen, entschieden bekämpft werden muss«. Zu ergänzen wäre: Und dass Antifaschismus hierzulande nicht mehr geächtet und staatlich gar verfolgt wird.
Jan Rathje: Reichsbürger, Selbstverwalter und Souveränisten. Vom Wahn des bedrohten Deutschen. Unrast Verlag,
80 S., br., 7,80 €.