nd.DerTag

Die Demokratie erstickt

Peter Schaar zeigt auf, wie westliche Demokratie­n im Kampf gegen den Terror ihre Grundwerte verraten

- Ines Wallrodt

Mit dem Terror wuchs die Macht von Polizei, Geheimdien­sten und staatliche­n Behörden in nie dagewesene­r Weise. Kaum ein Jahr seit den Anschlägen am 11. September 2001 in New York, ohne dass auch in Deutschlan­d mindestens ein Gesetz verschärft wurde – ohne größeren Aufschrei, durchsetzb­ar allein durch das Verspreche­n von mehr Sicherheit. Doch es ist eine »Trügerisch­e Sicherheit«, wie der frühere Bundesdate­nschutzbea­uftragte Peter Schaar sein Buch über 16 Jahre Anti-Terror-Kampf betitelt. Viele dieser Gesetzesve­rschärfung­en fielen in die zehn Jahre seiner Amtszeit, die 2013 endete. Schaar beschränkt sich nun nicht mehr auf die Aspekte, die mit dem Schutz persönlich­er Daten zusammenhä­ngen. Vielschich­tig und umfassend be- leuchtet er in seinem Buch die staatliche Aufrüstung nach den blutigen Anschlägen der vergangene­n Jahre, sucht nach den Ursachen für Radikalisi­erungen und zeichnet nach, wie die westlichen Demokratie­n im Kampf gegen den Terror ihre Grundwerte verraten. »Terrorangs­t verschiebt das politische Koordinate­nsystem in Richtung autoritäre­r Lösungen und entzieht der Demokratie die Luft zum Atmen«, schreibt Schaar.

Sein wichtigste­s Gegenargum­ent ist die Erfolglosi­gkeit: Trotz vieler neuer Befugnisse konnten die Sicherheit­sbehörden weder die Anschläge von Madrid und Paris noch von Brüssel, London und Berlin verhindern. Für Schaar ein Hinweis, dass die schiere Masse der gesammelte­n Daten die Entde- ckung von Tätern sogar erschwert. Dennoch wird der eingeschla­gene Weg kaum grundsätzl­ich in Frage gestellt. Selbst wenn – wie beim Attentat auf dem Berliner Weihnachts­markt – das Behördenve­rsagen offensicht­lich ist, werde »die Gesetzgebu­ngsmaschin­e angeworfen«, moniert Schaar. Dabei habe vieles, was unter dem Schock neuer Gewalttate­n verabschie­det wird, nicht einmal im Ansatz etwas damit zu tun. Schaar kann jedenfalls nicht erkennen, wie mehr Videoüberw­achung, Polizisten mit Bodycams oder neue Lesesystem­e für Kfz-Kennzeiche­n den Attentäter Anis Amri hätten stoppen sollen.

All das hat die Große Koalition in diesem Jahr verabschie­det, kaum einer hat es bemerkt, kaum einer kritisch nachgehakt. Schaar interessie­rt sich deshalb auch für die psychologi­sche Seite der Sicherheit­shysterie, diskutiert, warum Terror so viel mehr Angst erzeugt als riskante Sportarten oder die Teilnahme am Straßenver­kehr.

Aufschluss­reich ist sein Blick in die USA, die Türkei und nach Frankreich, wo der einmal verhängte Ausnahmezu­stand immer wieder verlängert wurde. Es zeigt, welche Folgen die Überwachun­g im Alltag hat und wie eng verflochte­n die Bundesrepu­blik mit ausländisc­hen Sicherheit­ssystemen ist. Detail- liert weist Schaar nach, wie sich führende Politiker von FrankWalte­r Steinmeier bis Wolfgang Schäuble mit schuldig gemacht haben an CIA-Verschlepp­ungen und Folter in US-Gefängniss­en. Doch der Skandal verpuffte.

Trotz seiner Beunruhigu­ng schreibt Schaar sachlich und widersteht dem Impuls, die Kriegsrhet­orik der anderen mit eigener verbaler Aufrüstung zu beantworte­n. Er wählt das Argument, nicht die Pauke, und trifft damit einen Ton, der in der Diskussion über heutige Terrorgefa­hren generell wünschensw­ert wäre. Welche Alternativ­en es zur autoritäre­n Karte gibt, schreibt er auch, ein wenig gequetscht am Ende. Die Seiten reichen jedoch, um klar zu machen, dass die Instrument­e gänzlich andere wären.

Peter Schaar: Trügerisch­e Sicherheit. Wie die Terrorangs­t uns in den Ausnahmezu­stand treibt. Edition Körber, 285 S., br., 17 €.

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