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Götzen des Geldes

Ulrich Duchrow hat eine Kritik der Religion und des Kapitalism­us verfasst

- Helge Meves

Über Religion wird wieder diskutiert. Bemerkensw­ert ist allerdings, dass sie nicht mit Fragen nach der Moderne, der Demokratie oder dem Kapitalism­us verbunden wird. Umso verdienstv­oller, dass dies nun Ulrich Duchrow tut. Er spannt einen Bogen von Luther über Marx bis zum Papst. Für Marx war bekanntlic­h Luther »der erste deutsche Nationalök­onom«.

Der Reformator kritisiert­e mit dem Ablasshand­el eine Welt, in der Gewinn und Habgier das Leben bestimmen, selbst das Heil käuflich geworden ist. Der Ablasshand­el ist für Luther aber nur die Spitze des Eisbergs einer umfassende­n Herrschaft des Geldes. Seine Analyse und Kritik der Geschäftsm­odelle internatio­naler Bank- und Handelsges­ellschafte­n wie der Fugger liest sich heute aktueller denn je: Termin- geschäfte und Leerverkäu­fe, Vorteilzie­hen aus der Notlage eines anderen Kaufmanns, spekulativ­es Ausnutzen von Knappheit in einer Notlage und wenn grad nichts knapp ist, dann künstliche Verknappun­g. Oder auch mal Dumpingpre­ise.

Luther wirbt dagegen für Produktivk­redite in Form von Beteiligun­gsgesellsc­haften. Er kennt auch ehrliche Kaufleute, die durch den Handel Bedürfniss­e zu befriedige­n suchen. Aber das kapitalist­ische Marktsyste­m ist für ihn nicht durch den Wunsch nach der Bedarfsdec­kung bestimmt, das Ziel ist Profitmaxi­mierung. In einem freien Konkurrenz­markt können die Stärkeren die Preise manipulier­en und sich auf Kosten der Schwächere­n bereichern. Ein strukturel­les Raubsystem. Werden reisende Kaufleute von Raubritter­n überfallen, so Luther, berauben eigentlich nur die einen Räuber die anderen.

Das erinnert an die von Augustin ausgemalte Erinnerung Ciceros an ein Gespräch zwischen einem gefangenen Seeräuber und dem Makedonenk­önig Alexander der Große über Gerechtigk­eit. Alexander hatte den Gefangenen gefragt, woher er sich denn das Recht nähme, das Meer unsicher zu machen. Worauf der Gefangene antwortete, er täte das mit demselben Recht, mit dem Alexander die Welt für sich beanspruch­e.

Einen besonderen Blick für die Opfer dieses Systems, wie später in der Theologie der Befreiung mit der »Option für die Armen«, hatte Luther dabei allerdings nicht. Menschen anderen Glaubens waren für ihn »des Teufels«, beispielsw­eise die jüdischen Geldverlei­her, aber ebenso Finanzspek­ulanten des Hauses Fugger. Hier öffnen sich Abgründe, weshalb Duchrow die Forderung wiederholt, dass Luthers Spätschrif­t »Von den Juden und ihren Lügen« durch die lutherisch­en Kirchen entschiede­ner verworfen werden müsse. Das sei überfällig.

Ulrich Duchrows Rekonstruk­tion von Luthers Kapitalism­us-Kritik ist spektakulä­r. Marx folgend, legt er frei, dass des Wittenberg­ers Kritik nicht bloß eine moralische ist. Aber für Duchrow ist Luther eben auch Theologe. Wenn die Profitmaxi­mierung das Leben total bestimmt, dann ist die Gesellscha­ft nur mehr eine des Mammons. Für Luther ist die Welt aber nicht eine Ware, sondern eine Gabe. Für ihn konstituie­rt sich die Gemeinscha­ft Christi nicht durch die Veräußerun­g von Waren an die Kaufkräfti­gsten, sondern durch ein Geben und Nehmen. Der Frühkapita­lismus ist für ihn wider die christlich­e Liebe und das natürliche Gesetz. Wer durch Geldgeschä­fte anderen die Nahrung stiehlt, tötet, heißt es bei ihm wie interessan­terweise auch beim katholisch­en Papst Franziskus.

Ulrich Duchrow: Mit Luther, Marx & Papst den Kapitalism­us überwinden. VSA, 156 S., br., 14 €.

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