Plädoyer gegen die Barbarei
Helmut Ortner klagt die Todesstrafe als staatlich sanktionierten Mord an
April 2017. Amnesty International legt seinen jährlichen Bericht über Todesurteile und Hinrichtungen vor. Die Zahlen, allenfalls Mindestwerte, rütteln auf: 18 848 Menschen befanden sich Ende 2016 weltweit in Todeszellen. Die Zahl der Todesurteile betrug im gleichen Jahr 3117. Allein in den USA warteten im Juli des vergangenen Jahres 2985 Todeskandidaten auf ihre Exekution. Hinrichtungen fanden in 23 Staaten statt. Helmut Ortner nimmt diesen Befund zum Anlass, eine überaus lesenswerte Geschichte dieser grausamen, menschenverachtenden Sanktion vorzulegen.
Die Lektüre klärt auf, rüttelt auf. Der Leser erfährt einiges über die ausgeklügelten Methoden staatlichen Tötens in den verschiedenen Epochen. Sie reichten im Mittelalter vom Enthaupten, Hängen, Verbrennen, Ertränken, lebendig Begraben, Rädern, Sieden in Wasser, Öl oder Wein, Steinigen über das Pfählen bis hin zum Vierteilen. Begleitet wurde die Vollstreckung nicht selten von grässlichen Quälereien. Nicht ohne Grund nannte Ernst Bloch die »Peinliche Halsgerichtsordnung« von Kaiser Karl V. (1532) ein Lehrbuch des Sadismus. Die Klassen- und Geschlechterzugehörigkeit spiegelte sich neben dem jeweils vorgeworfenen Delikt auch in der zugedachten Art der Todesstrafe wider. Das Enthaupten durch das Schwert galt so als ehrenhaft und war meist Delinquenten aus der Oberschicht vorbehalten. Das Rädern wiederum wurde ausschließlich an Männern und das Ertränken weitestgehend an Frauen vollzogen. Erhängen, Steinigen und Enthaupten sind noch heute aktuell.
Eine Zäsur ist mit dem Namen Guillotin, dem Erfinder der nach ihm benannten Tötungsmaschine, verknüpft. Das Fallbeil, übrigens von einem deutschen Klavierbauer konstruiert, wurde 1792 in Frankreich eingeführt. Dem Postulat der Aufklärung von der Gleichheit vor dem Gesetz folgend, sollte jeder unabhängig von seinem Stand derselben Art der Hinrichtung unterworfen werden. Besser macht’s die Sache nicht.
Von nun an ist die Geschichte der Todesstrafe in den Industrieländern davon geprägt, ihren Vollzug effizienter, anonymer, hygienischer und lautloser auszugestalten. Beredtes Beispiel sind die USA, wo Verurteilte auf dem elektrischen Stuhl zu Tode »geröstet« wurden, dann die Gaskammer (»Aquarium«) erfunden wurde, um schließlich die Giftspritze als die »sauberste« Art des staatlichen Mords zu feiern. Doch Ortner dokumentiert, wie pervers es ist, diese kaltblütige und bürokratische Tötung von Menschen auch noch als human zu deklarieren.
Das Buch beschreibt die Rituale um die Vollstreckung der Todesstrafe, lässt die Scharfrichter zu Wort kommen und porträtiert den Henker Johann Reichhardt, der von 1924 bis 1945 insgesamt 3126 Exekutionen – darunter die der Geschwister Hans und Sophie Scholl – durchführte. Auf Befehl der Besatzungsmacht henkte er danach noch 156 Menschen, in der Regel Nazis, ehe er im Gegensatz zu den meisten der Richter als NS-Belasteter eingestuft wurde.
Die Todesstrafe (wie auch die bei uns angedrohte lebenslange Freiheitsstrafe) hat keine Auswirkungen auf die Kriminalitätsrate. Drakonische Strafen tragen eher zu einer Brutalisierung der Gesellschaft bei. Die Todesstrafe legitimiert ein Verhalten, das sie gerade vorgibt zu bekämpfen. Ortner belegt, dass ihre Verhängung von der Klasse, ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder politischen Haltung des jeweiligen Täters beeinflusst wird. In den USA ist sie Ausdruck einer »Rassenjustiz«. Da drängt sich dem Leser die Frage auf, warum viele Staaten an ihr festhalten.
Die Todesstrafe besitzt eine hohe Symbolkraft. Im Mittelalter symbolisierte sie die uneingeschränkte Macht des Herrschers. Nicht von ungefähr sind es heute überwiegend autoritäre Regime, die an ihr festhalten oder sie wieder einführen. Darüber hinaus hat sie eine wichtige kommunikative Funktion für die Politik. Über sie kann Konsequenz, Härte, Entschlossenheit beim Kampf gegen Kriminalität, gegen Abweichler demonstriert werden. Gleichzeitig werden die Ursachen der Kriminalität individualisiert mit dem Ergebnis, dass der Gesellschaftsfeind für immer ausgeschlossen wird. Dabei kann die Politik an das tief in der Gesellschaft verwurzelte Vergeltungsdenken anknüpfen.
Sage niemand, das Thema gehe uns nichts an, weil die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland (1949) und der DDR (1987, letzte Hinrichtung 1981 durch Genickschuss) abgeschafft wurde. Immerhin votierten 32 Prozent der Jurastudenten (!) der Universität Nürnberg-Erlangen 2014 für deren Wiedereinführung. Und obwohl die Todesstrafe hierzulande verfassungswidrig ist, freut sich die Kanzlerin öffentlich, wenn ein gesuchter Terrorist ohne Verfahren hingerichtet wird. Die von der politischen Führung der Türkei betriebene Wiedereinführung der 2002 abgeschafften Strafe wird zwar von der Bundesregierung als rote Linie charakterisiert, aber gleichzeitig leisten deutsche Behörden Beihilfe (US-Airbase Ramstein) zur gezielten Tötung durch Drohnen.
Die von Ortner präsentierten Fakten sind ein eindringliches Plädoyer für die Abschaffung jener barbarischen Strafe.
Helmut Ortner: Wenn der Staat tötet. Eine Geschichte der Todesstrafe. Theiss, 235 S., geb., 22,95 €.