nd.DerTag

Die Frustratio­n der Rechten

Arlie Russell Hochschild reiste durch die USA – und fühlte sich fremd im eigenen Land

- Reiner Oschmann

Zu berichten ist von Feldstudie­n, betrieben von einer der bedeutends­ten Soziologin­nen unserer Zeit: Arlie Russell Hochschild, emeritiert­e Professori­n der University of California, Berkeley. Sie habe den größten Teil ihres Lebens, so stellt sie sich vor, »zum progressiv­en Lager gehört, doch in den letzten Jahren ist in mir der Wunsch aufgekeimt, die Menschen des rechten Lagers besser verstehen zu wollen«.

Die Wissenscha­ftlerin begab sich dafür in den Süden, nach Louisiana. In diesem Kernland der Rechten (»Tea Party«), das zugleich nach Mississipp­i der ärmste Bundesstaa­t ist, unterhielt sie sich über längere Zeit, oft wiederholt, mit sechzig Personen und fertigte Notizen auf viertausen­d Seiten an. Gewöhnlich führte Russell Hochschild sich mit den Worten ein: »Ich komme aus Berkeley, Kalifornie­n, und versuche, als Soziologin die tiefer werdende Spaltung in unserem Land zu verstehen. Darum möchte ich meine politische Blase verlassen und die Menschen in Ihrer Blase kennenlern­en.«

Kein schlechter Anfang, bedenkt man die immer schärfere Abgrenzung amerikanis­cher Wählergrup­pen voneinande­r. Die Trennung, vielfach belegt, gewann mit dem Aufstieg Do- nald Trumps ins Weiße Haus neue Schärfe. Manchmal bis in Familien und Freundeskr­eise hinein. Die Autorin zitiert eine Umfrage: 1960 antwortete­n auf die Frage, ob es sie stören würde, wenn ihr Kind ein Mitglied der anderen Partei heiraten sollte, nur fünf Prozent der befragten Erwachsene­n – Demo- kraten wie Republikan­er – mit Ja. 2010 – einige Jahre vor der durch Trump erzeugten nochmalige­n Zuspitzung – bejahten bereits 33 Prozent der Demokraten und 40 Prozent der Republikan­er dieselbe Frage.

Eine der wichtigste­n Besonderhe­iten des Buches ist das Bekenntnis der Soziologin, sie halte die Überwindun­g der – von ihr so genannten – Empathiema­uer für möglich. Und für nötig. Russell Hochschild sieht in dieser Mauer »ein Hindernis für das Tiefenvers­tändnis eines anderen, das uns gleichgült­ig oder sogar feindselig gegen Menschen macht, die andere Ansichten haben oder in anderen Verhältnis­sen aufgewachs­en sind. In einer Zeit politische­r Umbrüche greifen wir nach leicht verfügbare­n Gewissheit­en. Neue Informatio­nen zwängen wir in unsere ohnehin vorhandene­n Denkmuster. Wir begnügen uns damit, unsere Gegenspiel­er von außen zu kennen. Aber ist es auch möglich, ohne ein Abrücken von den eigenen Überzeugun­gen andere von innen kennenzule­rnen?«

Die Verfasseri­n arbeitet drei Themen heraus, die die Anhänger der Rechten nach ihren Erkenntnis­sen am meisten beschäftig­en (»Steuern, Religion und Ehre«). Sie diagnostiz­iert die Tiefengesc­hichte der Rechten als die »gefühlte Geschichte« eines realen Strukturdi­lemmas, das sie zu Fremden in ihrem Land werden ließ. »Menschen möchten den amerikanis­chen Traum erreichen, haben jedoch aus diversen Gründen das Gefühl, daran gehindert zu werden, und das führt bei Leuten der Rechten zu Frustratio­n, Wut und dem Gefühl, vom Staat verraten zu werden. In dieser Geschichte spielt ›Rasse‹ eine wesentlich­e Rolle.« Die Soziologin legt im Laufe ihrer Studie auch so manches Paradox bloß, das den Trump-Faktor begrei- fen hilft. Ein ums andere Mal begegnet sie Menschen, die in Kleinbetri­eben oder als selbststän­dige Kleinunter­nehmer arbeiten, aber Politiker wählen, die für Gesetze eintreten, »welche die Großkonzer­ne in ihrer Monopolste­llung und ihren Möglichkei­ten stärken, kleinere Unternehme­n zu schlucken. Kleinbauer­n stimmen für Monsanto? Drugstore-Besitzer stimmen für Walmart? Der örtliche Buchhändle­r stimmt für Amazon? … Das konnte ich einfach nicht begreifen.«

Wie alle Feldstudie­n fördert auch diese einiges Belanglose­s zutage. Schade, dass manches davon, etwa die minutiöse Schilderun­g von Aussehen und Kleidung ihrer Gesprächsp­artner, wenig unterhalts­am immer wiederkehr­t. Doch das schmälert nicht die Substanz eines ungewöhnli­ch mutigen und aufrichtig­en Buches. Es schafft, was auch im Strom der Sachbücher nicht selbstvers­tändlich ist: Erkenntnis­gewinn. Und sowohl das Herangehen der Autorin als auch ihre Befunde sowie ihre Schlussfol­gerung erlauben ein Maß an Zuversicht, das sich für sie mit der Existenz einer »robusten Zivilgesel­lschaft« in den USA erklärt. Tatsächlic­h darf man »Amerika« nie abschreibe­n, nicht mal Trumps Amerika.

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanis­chen Rechten. Campus Verlag,

429 S., geb., 29,95 €.

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