Wie Europa Märkte über Menschen stellt
Christian Jakob und Simone Schlindwein legen die besondere Partnerschaft zwischen der EU und Afrika in Migrationsfragen offen
Offene Grenzen zwischen Ländern und Kontinenten, Bewegungsfreiheit als Grundrecht für alle Menschen – eine solche Idee scheint angesichts aktueller politischer Debatten absurd. Um diesen Eindruck zu bekommen, muss der Blick gar nicht in Richtung eines Donald Trump schweifen, der auch mit der Ankündigung eines Mauerbaus die Präsidentschaftswahl in den USA gewann und doch noch immer nicht ansatzweise den Grenzwall zu Mexiko errichtet hat.
Nicht dass es ein solches Exempel zwischen Nord- und Lateinamerika bräuchte. Das beste Beispiel gibt es längst: die Abschottung des europäischen vom afrikanischen Kontinent. Mit allem, was dazu gehört: Mauern, Klingendrahtzäune, Militärpatrouillen, Überwachungstechnik – und die Hilfe von Staatschefs, die mit Demokratie und Menschenrechten nicht viel anfangen können.
Diese, in der Öffentlichkeit weitgehend von Integrationsfragen überdeckten, Zustände an den EU-Außengrenzen haben Christian Jakob und Simone Schlindwein in ihrem Buch »Dik- tatoren als Türsteher Europas« zusammengetragen. Sie zeigen die Folgen von Debatten über Obergrenzen und vermeintliche Massenzuwanderung auf – sowohl auf politischer Ebene, wenn Anti-Asyl-Deals wie jener mit der Türkei geschlossen werden, als auch im Alltag der Menschen, die vor Armut und Krieg zu fliehen versuchen und dabei im Mittelmeer ertrinken oder am Grenzzaun zu Ceuta verbluten.
Die Autoren fördern dabei in jedem Kapitel eine grundsätzliche Diskrepanz zwischen den »europäischen Werten« und dem gleichzeitigen Festhalten an der knallharten Marktlogik zutage. Denn während im gemeinsamen EU-Binnenmarkt die Grenzen abgebaut wurden, sind jene nach außen umso höher gerüstet worden. Wollten die Europäer den afrikanischen Kontinent um 1900 noch ganz direkt formen, geht es heute vor allem darum, »den schwarzen Mann« fernzuhalten. Aus diesem Grund steht Afrika im Zentrum des Interesses von Europa.
Diese EU-Politik macht derzeit den Umgang mit Afrika aus, wie Jakob und Schlindwein schildern. Es geht nicht um Zusammenarbeit auf Augenhöhe, sondern um die Wahrung der Distanz. Dafür gibt Europa gern Geld. Entwicklungshilfe, so die Autoren, wird immer öfter an Grenzverstärkung oder Rückübernahmeabkommen geknüpft.
Diese Politik kommt nicht aus dem Nichts. Sie ist aus Erfahrungen beim Kampf gegen Mi- grationsströme seit Anfang der 1990er Jahre erwachsen. Spanien machte damals den Anfang – und die Enklaven Melilla und Ceuta in Marokko dicht. Es passierte, was die Autoren als einzig logisches Ergebnis beschreiben: Die Menschen suchten sich neue Routen. Bis heute. So soll jetzt die zentrale Mittelmeerroute von der Küste Libyens nach Süditalien geschlossen werden – nach dem Willen der Europäer auch mittels neuer Grenzen zwischen afrikanischen Ländern.
Dabei arbeiten sie auch mit Präsidenten zusammen wie Umar al-Baschir aus Sudan, ge- gen den ein internationaler Haftbefehl vorliegt, oder Isayas Afewerki, der Eritrea vor allem damit bekannt gemacht hat, dass ein größerer Teil der Bevölkerung außerhalb statt im Land lebt. Doch die Autoren bleiben nicht bei Afrika. Vorbilder für die Abkommen mit afrikanischen Diktatoren finden sie zudem in der Antimigrationszusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei sowie im Vorgehen des Staates Israel.
Das auf umfangreichen Recherchen des »taz«-Reporters und der »taz«-Korrespondentin fußende Buch liest sich wie ein Krimi, der auf ein gutes Ende hoffen lässt. Doch dieses ist laut Jakob und Schlindwein nicht in Sicht – so lange nicht, wie Migration und Krise in eins gesetzt werden. Umso bedeutsamer ist die Analyse aus persönlichen Interviews, Abkommen und internationalen Beschlüssen sowie aus der Zuarbeit zahlreicher Journalistenkollegen. Das Buch macht deutlich, dass jede und jeder über die Auswirkungen der europäischen Abschottungspolitik Bescheid wissen kann.
Christian Jakob/ Simone Schlindwein: Diktatoren als Türsteher Europas. Ch. Links Verlag, 320 S., br., 18,50 €.