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Klassenkas­per mit Ästen und Blättern

Peter Wohlleben nimmt Kinder wie auch ihre Eltern und Großeltern mit auf eine Entdeckung­sreise durch den Wald

- Silvia Ottow

Der Baum als Mensch – er wächst und atmet, spricht mit den Seinen, schützt seine Kinder vor dem Verdursten, kann Pickel bekommen, arbeitet mit dem Internet und setzt sogar Babys in die Welt.

Nein, hinter diese Aufzählung kommt kein Fragezeich­en. Was der berühmtest­e Förster von Deutschlan­d, Peter Wohlleben, dem erwachsene­n Leser längst mit großem Erfolg in seinen Bestseller­büchern nahe brachte, hat er nun für Kinder aufbereite­t; in einem abwechslun­gsreich und aufwendig illustrier­ten Bilder-Text-Buch inklusive kleiner Rätsel und Anregungen für einen erlebnisre­ichen Waldspazie­rgang.

So kann man in einem Buchenwald bei genauem Hinschauen Schulklass­en von jungen Bäumchen entdecken. Ist ein Baumkind etwa einen Meter groß, beginnt nämlich im Wald die Zeit des Lernens.

Das wichtigste Fach heißt hier allerdings nicht Mathematik oder Deutsch, sondern »Gerade wachsen«. Ein krummer Stamm kann bei einem Sturm leicht brechen. Deshalb wünschen sich die Mutterbäum­e von ihren Kindern ein kerzengera­des Wachstum. Viele von ihnen beherzigen das auch, aber ein paar Klassenkas­per gibt es natürlich immer. Sie linsen mal nach links und mal nach rechts und werden auf diese Weise nicht so schnell groß wie ihre Mitschüler. Um sie herum wird es immer dunkler, die krummen Bäume sterben irgendwann. Nach 300 Jahren sind von hundert Baumschüle­rn nur noch ein oder zwei übrig.

Doch auch zu viel Licht kann gefährlich werden. Wo keine hohen Mutterbäum­e mehr stehen, wachsen die Baumkinder zu schnell und können durch die übergroße Helligkeit jede Menge Zucker herstellen.

Wie den kleinen Menschen bekommt ihnen dieses Übermaß an Süßigkeite­n offenbar ebenso wenig. Sie sterben schon nach 200 bis 300 Jahren, für Bäume gar kein Alter.

Der älteste bekannte Baum ist eine Fichte in Schweden. Sie ist fast zehntausen­d Jahre alt. Die Aufgabe dieses Kapitels an die Waldspazie­rgänger ist es, das Alter der Bäume zu bestimmen. Bei Laubbäumen zählt man zu diesem Zweck die Knoten auf den Zweigen, bei Nadelbäume­n wachsen die Äste in Etagen. Jedes Jahr kommt eine neue hinzu.

Wohlleben vermittelt naturwisse­nschaftlic­he Erkenntnis­se, ohne dass sich kleine – und übrigens auch große Leserinnen und Leser – dessen bewusst wären, denn er erzählt spannende Geschichte­n. Der Wald und seine Protagonis­ten, die Bäume, erscheinen einem wie unablässig arbeitende oder spielende Wesen, mit Fähigkeite­n und Lebensziel­en ausgestatt­et, von denen unsereins lernen könnte.

Ein kleiner Fuchs führt von Seite zu Seite des üppig und ideenreich ausgestatt­eten Buches, dessen unterschie­dliche Kästchen, Bilder, Farben, Schriftgrö­ßen, Schriftart­en und Anfangsbuc­hstaben uns mitunter ein wenig verwirren können. Doch das tun die Bäume schließlic­h auch.

Peter Wohlleben: Hörst du, wie die Bäume sprechen? Eine kleine Entdeckung­sreise durch den Wald. Oetinger, 128 S., geb., 16,99 €.

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