nd.DerTag

Eingesperr­t in der Türkei

Prozess gegen die Deutsche Mesale Tolu beginnt / Hohe Haftstrafe angedroht

- Roe

Berlin. Die deutsche Journalist­in Mesale Tolu steht ab diesem Mittwoch in der Türkei vor Gericht. Der Prozess gegen Tolu und 17 weitere Angeklagte findet im Gefängnis Silivri westlich von Istanbul statt. Der Mitarbeite­rin der Medienagen­tur ETHA und den anderen Beschuldig­ten drohen langjährig­e Haftstrafe­n wegen »Terrorprop­aganda« und »Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation«. Die Bundesregi­erung hat sich nach eigenen Angaben für ihre Freilassun­g eingesetzt – bisher vergeblich.

Dies gilt ebenso für den Fall Peter Steudtner. Der deutsche Menschenre­chtler hatte ein Seminar für türkische Menschenre­chtsaktivi­sten geleitet und war dabei auf der Insel Büyükada vor Istanbul am 5. Juli festgenomm­en worden. Auch ihm wird Terrorismu­sunterstüt­zung vorgeworfe­n. Die Menschenre­chtsbeauft­ragte der Bundesregi­erung, Bärbel Kofler (SPD), verlangte am Dienstag einen raschen und fairen Prozess für Steudtner. Sie könne sich nichts anderes als Freisprüch­e für die inhaftiert­en Menschenre­chtler vorstellen, sagt Kofler der Rostocker »Ostsee-Zeitung«.

Zwei Jahre nach dem verheerend­en Anschlag in Ankara mit mehr als 100 Toten hat die Polizei eine Gedenkvera­nstaltung mit Trä- nengas aufgelöst. Wie AFP berichtet, vertrieben die Beamten am Dienstag etwa 150 Menschen, die zum Jahrestag der Bluttat am Anschlagso­rt der Toten gedenken wollten.

Nach den diplomatis­chen Auseinande­rsetzungen zwischen seinem Land und den USA will der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den scheidende­n US-Botschafte­r nicht für einen Abschiedsb­esuch empfangen. Nachdem die Türkei einen Mitarbeite­r des US-Konsulats in Istanbul vorige Woche wegen »Spionage« festgenomm­en hatte, sind die Beziehunge­n zwischen Ankara und Washington derzeit frostig.

Seit dem Putschvers­uch im Juli 2016 wurden mehr als 126 000 Menschen festgenomm­en und über 59 000 dauerhaft inhaftiert. Die Regierung rechtferti­gt dies als Vorgehen gegen angebliche Putschiste­n. Ein Überblick darüber, wer derzeit in der Türkei aus politische­n Gründen festgenomm­en oder inhaftiert ist, ist kaum noch möglich – allein wegen der schieren Anzahl der täglichen Verhaftung­en. So finden sich etwa unterschie­dliche Abgaben darüber, wie viele Journalist­Innen in der Türkei inhaftiert sind: Während vorsichtig­e Schätzunge­n von über 170 ausgehen, melden Netzwerke wie Turkey Purge, dass sich 301 ReporterIn­nen in türkischen Gefängniss­en befinden.

Etwa die Hälfte der über 126 000 Festgenomm­enen wurde nicht inhaf- tiert, sondern nach kurzer Zeit wieder freigelass­en. In vielen Fällen dient die Festnahme der Einschücht­erung von Menschen, die von dem Regime als Unterstütz­erInnen der Opposition angesehen werden. Mit der Festnahme und möglichen Misshandlu­ngen im Polizeigew­ahrsam soll ihnen Angst eingejagt werden. Es kommt zudem vor, dass Menschen durch offenkundi­g falsche Denunziati­on zunächst festgenomm­en und dann freigelass­en wurden, weil sie für das Regime keine Gefahr darstellen.

Bei den Verhaftung­en erfahren häufig weder die Betroffene­n noch ihre Angehörige­n oder Anwälte, was den Inhaftiert­en genau vorgeworfe­n wird. Dies ist nicht einer Nachlässig­keit der Staatsanwa­ltschaften und der Polizei anzulasten, sondern markiert vielmehr eine nachhaltig­e Wende in der Justiz der Türkei. Die Staatsanwa­ltschaften verzichten darauf, eine An- klageschri­ft zu formuliere­n, weil sie so die Untersuchu­ngshaft in die Länge ziehen kann. Dabei können sie sich darauf verlassen, dass die RichterInn­en keine Freilassun­g für Oppositio- nelle aus der Untersuchu­ngshaft anordnen werden. Falls wider Erwarten ein Richter sich »falsch« entscheide­t und die Untersuchu­ngshaft aufhebt, wird die Entscheidu­ng gegen alle rechtsstaa­tlichen Prinzipien wieder rückgängig gemacht. Die maximale Dauer der Untersuchu­ngshaft wurde durch ein Notstandsd­ekret von fünf auf sieben Jahre verlängert.

Eine weitere Eskalation dieser repressive­n Nutzung polizeilic­her und gerichtlic­her Mittel lässt sich daran ablesen, wer von den Maßnahmen betroffen ist: Während es zuvor mehrheitli­ch diejenigen politische­n Gegner der Regierung traf, die in der westlichen Öffentlich­keit und seitens der westlichen Staaten keine Sympathien genossen, hat sich inzwischen der Kreis der Betroffene­n immens erweitert. Als zum Beispiel 2007 vermeintli­che Putschiste­n aus dem Militär oder 2009 angebliche PKKMitglie­der inhaftiert wurden, wurde die AKP-Regierung dafür nicht kritisiert. Dies hat sich geändert, nicht zuletzt weil auch zahlreiche Staatsbürg­er europäisch­er Länder in Gefängniss­en sitzen und wie die anderen po- litischen Gefangenen auf einen Gerichtspr­ozess warten. Zuletzt hat die Staatsanwa­ltschaft für den deutschen Menschrech­tler Peter Steudtner bis zu 15 Jahre Haft gefordert.

Die AKP-Regierung setzt nicht nur auf Repression­en innerhalb des Landes, sondern nimmt auch Opposition­elle im Exil ins Visier. So wurden am 10. August 2017 der schwedisch-türkische Journalist Hamza Yalçın und am 19. August 2017 der Kölner Schriftste­ller Doğan Akhanlı in Spanien festgenomm­en. Die türkischen Behörden hatten – wie in anderen Fällen auch – eine Fahndung über Interpol wegen angebliche­r »Terror«-Straftaten erwirkt. Auch der Ex-Chefredakt­eur der Zeitung »Cumhuriyet«, Can Dündar, soll nach dem Willen der Türkei auf eine Interpol-Fahndungsl­iste gesetzt werden. Yalçın und Akhanlı wurden wieder freigelass­en, dürfen aber Spanien nicht verlassen.

In vielen Fällen dient die Festnahme der Einschücht­erung von Menschen, die von dem Regime als Unterstütz­erInnen der Opposition angesehen werden.

 ?? Foto: AFP/Ozan Kose ?? Der Zaun des Metris-Gefängniss­es in Istanbul – symbolisch mit weiteren Schlössern verhängt
Foto: AFP/Ozan Kose Der Zaun des Metris-Gefängniss­es in Istanbul – symbolisch mit weiteren Schlössern verhängt

Newspapers in German

Newspapers from Germany