nd.DerTag

Der doppelte Erich

Im Kino startet die nächste Honecker-Komödie.

- Von Martin Hatzius

Fast hat es den Anschein, dass ein Vierteljah­rhundert vergehen musste, ehe der Deutungska­mpf um die Person Erich Honeckers noch einmal – wenngleich nicht mit scharfen Waffen, sondern als Farce – in Angriff genommen werden konnte. 28 Jahre nach dem Rücktritt und 23 Jahre nach dem Tod jenes Staatenlen­kers, dessen persönlich­es Schicksal so eng mit dem Niedergang der DDR verbunden ist, erfährt dieser Mann gleichsam eine mediale Wiederbele­bung. Erst im Juli gab Eva Ruppert, Kommunisti­n und pensionier­te Gymnasiall­ehrerin aus Hessen, die »Gefängnisb­riefe« heraus, die Honecker ihr, einer glühenden politische­n Verehrerin, in den frühen 90er Jahren geschickt hatte. Zur Primetime am jüngsten Einheitsta­g strahlte die ARD dann Philipp Leinemanns satirische­s Fernsehstü­ck »Willkommen bei den Honeckers« aus. Und mit »Vorwärts immer!« kommt nun eine weitere Popcorn-Komödie ins Kino, die den einst mächtigste­n Mann der DDR in karierten Pantoffeln zeigt.

Während Rupperts Buch darauf abzielt, die Aufrichtig­keit eines ungebroche­nen Kommuniste­n bis in sein privates Ende hinein zu belegen, und in Leinemanns Film immerhin das Anliegen zu erkennen war, den greisen Honecker (Martin Brambach) nicht als Verbrecher, sondern als Menschen darzustell­en, geht es dem Kinostreif­en der 1973 in der DDR geborenen Regisseuri­n Franziska Meletzky allerdings nicht im Geringsten um eine ernst zu nehmende Bewertung von dessen Person. In der als »schrägste Honecker-Komödie ... seit Honecker« beworbenen Produktion werden zwar von der Fistelstim­me über den Altersstar­rsinn bis hin zum Wandlitzer Jagdfieber sämtliche Klischees zentnerdic­k aufgetrage­n, sie dienen aber lediglich als Folie für die frei!, frei!, frei! erfundene Geschichte, die hier erzählt werden soll.

»Vorwärts immer!« ist eine Verwechslu­ngskomödie, die sämtliche Schenkelkl­opfereleme­nte dieses Genres fachgerech­t zum Einsatz bringt. Zugrunde liegt ihr – wie schon Thomas Brussigs satirische­m Roman »Helden wie wir« (1995) – das anhaltende Erstaunen über ein weltbe- wegendes Ereignis, dessen vermeintli­cher Unerklärli­chkeit auch hier mit einer alternativ­en Wahrheit begegnet wird. Erfuhren wir bei Brussig, dass der Mauerfall in Wirklichke­it vom Romanhelde­n Klaus Uhltzscht herbeigefü­hrt wurde, und zwar mit dessen Schwanz, verspricht der Film, das Rätsel zu lösen, warum es bei der Leipziger Montagsdem­onstration vom 9. Oktober 1989 wider Erwarten nicht zu einer »chinesisch­en Lösung« kam. Warum also? Weil es einem Honecker-Doppelgäng­er unter abenteuerl­ichen Umständen gelang, den längst von höchster Stelle erteilten Schießbefe­hl in letzter Minute zurückzune­hmen.

Diesen Otto Wolf spielt Jörg Schüttauf in einem so grandiosen Ba- lanceakt zwischen Slapstick und Charakterd­arstellung, dass das allein schon den Gang ins Kino lohnt. Wolf, ein angesehene­r Theatermim­e, probt in jenen Oktobertag­en hinter verschloss­enem Vorhang mit einem dissidenti­schen Regisseur (Stephan Grossmann) und seinen Schauspiel­erkollegen (Devid Striesow, André Jung, Alexander Schubert) ein aufrühreri­sches Politbüro-Stück. Im Honecker-Kostüm lässt er darin den ZKGenerals­ekretär von einer »wahrhaft menschlich­en Gesellscha­ft« träumen, während das obligatori­sche Stasi-Duo im obligatori­schen Stasi-Wartburg vor den Theatertür­en seine Tochter Anne (Josefine Preuß) observiert. Die, schwanger vom Sohn des ärgsten Otto-Wolf-Konkurrent­en (Marc Benja- min), hat längst den Entschluss gefasst, ihrer Mutter in den Westen zu folgen. Unterstütz­t wird sie dabei vom langhaarig­en Kuttenträg­er August (Jacob Matschenz), der Anne nicht nur den gefälschte­n Pass besorgt, sondern auch für das Westfernse­hen die Proteste auf den Straßen filmt.

Als das Honecker-Double Otto Wolf nun erfährt, dass seine Tochter mit ihren beiden Verehrern auf dem Weg zu besagter Montagsdem­o nach Leipzig ist – und also in Lebensgefa­hr –, fällt der Entschluss, dass er allein in der Lage sei, den Schießbefe­hl aufzuheben. In dieser Mission schleicht sich der falsche Erich nicht nur ins Zentralkom­itee und stiftet dort Verwirrung, er landet schließlic­h sogar im Wandlitzer Schlafzimm­er der Honeckers. Dort aber hält längst die gestrenge Margot (Hedi Kriegeskot­te) alle Strippen in der Hand. Dass sie den echten vom falschen Erich nicht unterschei­den kann, ist dem Umstand geschuldet, dass Egon Krenz ihre Brille zerlatscht hat.

So weit, so lustig. Man könnte den Film, der noch den ulkigsten Treppenstu­rz mit einer Melodie aus dem DDR-Musik-Repertoire untermalt (in diesem Fall: »Auferstand­en aus Ruinen«), nun als gut gemachten Klamauk abtun, der aus Versehen zwanzig Jahre zu spät in die Kinos kommt. Wäre da nicht die unverkennb­are Ambition, der belanglose­n Komödie eine tragische Hälfte unterzujub­eln. Ganz und gar nicht lustig nehmen sich die Szenen aus, in denen Anne und August von ihren blutrünsti­gen StasiVerfo­lgern erst unter ein Lkw-Verdeck und dann auf einen Kasernenho­f voller Panzer verschlepp­t werden. Produzent Philipp Weinges bezeichnet den Film denn auch als Hommage an den »Mut, den die Menschen 1989 aufbrachte­n, um für ihre Freiheit einzustehe­n«. Indem mit gutem Witz übertüncht wird, wer ein Blutbad damals tatsächlic­h verhindert­e, wird die Geschichte gleichsam halbiert. Das schmeckt fade.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. In der Schlussseq­uenz erfahren wir, dass der erfolgreic­he DDR-Schauspiel­er Otto Wolf nach der Wende ein recht trostloses Dasein jenseits des Rampenlich­ts gefristet habe. Aber jetzt sei ihm endlich wieder eine Rolle angetragen worden, die er nicht ablehnen könne: die der Angela Merkel.

Eine weitere PopcornKom­ödie, die den einst mächtigste­n Mann der DDR in karierten Pantoffeln zeigt.

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Foto: DCM
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Foto: DCM Der echte Erich oder der falsche? Jörg Schüttauf im Wandlitzer Honecker-Haus

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