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Der ewige Schäuble

Der Finanzmini­ster tritt ab – seine Austerität­spolitik bleibt.

- Von Hermannus Pfeiffer

Von den einen gefürchtet, von anderen verehrt: Wolfgang Schäuble tritt als Finanzmini­ster ab. In der Eurokrise zeigte er Härte und Durchschla­gskraft – zur Lösung der Probleme trug dies nicht bei. »Acht Jahre als Finanzmini­ster ist genug.« Es ist die Woche der Schlusswor­te von Wolfgang Schäuble, der seine Abschiedst­our auf internatio­nalem Parkett absolviert: am Montag bei der Eurogruppe in Luxemburg, am Dienstag beim EU-Finanzmini­sterrat und am Wochenende bei der Tagung von Internatio­nalem Währungsfo­nds (IWF) und Weltbank in Washington. Da Schäuble am 24. Oktober bei der konstituie­renden Sitzung des neuen Bundestage­s zu dessen Präsidente­n gewählt werden soll, tritt der 75-Jährige als Finanzmini­ster ab. Vielerorts dürfte das mit Erleichter­ung aufgenomme­n werden angesichts der manchmal unerbittli­chen Härte, die er während der Eurokrise gezeigt hat.

Wer diese verstehen will, muss sich ein schlimmes Ereignis im Leben des Wolfgang Schäuble vor Augen halten. Nach dem Mauerfall gehört der CDU-Politiker zu den »Architekte­n der Einheit«. Von Bundeskanz­ler Helmut Kohl im April 1989 zum Innenminis­ter berufen, erhält der promoviert­e Jurist die Federführu­ng für die Staatsvert­räge, mit denen der deutsch-deutsche Einigungsp­rozess besiegelt wurde. Schäuble gilt als Kohls Kronprinz. Doch mitten im Triumph schlägt das Schicksal zu: Als Schäuble im Oktober 1990 nach einer Wahlkampfr­ede in seinem badischen Wahlkreis zum Ausgang der Gaststätte geht, schießt ihn ein geistig verwirrter Mann nieder. Dank einer Notoperati­on überlebt er. Auch der damalige SPD-Kanzlerkan­didat Oskar Lafontaine, kurz zuvor ebenfalls Opfer eines Attentats, besucht ihn in der Uniklinik Freiburg.

Schäuble ist seither auf den Rollstuhl angewiesen. Aus der Politik verabschie­dete er sich nicht, obwohl ihm viele dazu rieten. Nach nur sechs Wochen setzte er seine Karriere fort, als Innenminis­ter und bald auch als CDUVorsitz­ender, der aber wegen seiner Verstricku­ng in die Parteispen­denaffäre um den dubiosen Waffenhänd­ler Karlheinz Schreiber seinen Posten verlor.

Seinen Ruf als Tonangeber der Austerität­spolitik verdiente sich Schäuble erst als Finanzmini­ster in der Union-FDP-Koalition ab 2009. Im Kabinett Merkel II übernahm er von Peer Steinbrück (SPD) diesen Posten, der im Gefolge der globalen Finanzkris­e, die den ohnehin defizitäre­n Staatshaus­halt zusätzlich mit Bankenrett­ungs- und Konjunktur­paketen belastete, als schwierigs­ter Job im Kabinett galt. Schäuble reagierte mit einem Schuldenre­kord – und dem größten Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepu­blik: 80 Milliarden Euro bis 2014. Seine Kürzungsma­ßnahmen trafen unter anderem HartzIV-Empfänger. Weil sich die Wirtschaft schnell erholte, ging es mit dem Etat aber rasch wieder bergauf. 2016 in der großen Koalition kam Schäubles Haushalt ohne Neuverschu­ldung aus – das hatte es seit 1969 nicht mehr gegeben.

Während Deutschlan­ds exportorie­ntierte Wirtschaft zum Sieger der Globalisie­rung aufstieg, knöpfte sich der gebürtige Freiburger dann Europa vor. Die Staatsschu­ldenkrise und die daraus erwachsene Eurokrise nahmen den Sparpredig­er derart in Anspruch, dass ihm ein Wochenmaga­zin nachsagte, ein »Europamini­sterium mit angeschlos­sener Haushaltsa­bteilung« zu führen.

In den Medien wird Schäuble bisweilen als halsstarri­ger alter Mann karikiert. Solche Bilder unterschät­zen den Strategen mit dem Hang zur Ironie, die besonders in Deutschlan­d gern missversta­nden wird. Eurogruppe­nchef Jeroen Dijsselblo­em bezeichnet­e den scheidende­n Bundesfina­nzminister vor dessen letztem Auftritt auf europäisch­em Parkett am Dienstag als »hart aber fair«. Er habe das »langfristi­ge Interesse Europas« im Blick gehabt, so der Niederländ­er. »Schäuble mag in der Sache hart sein. Aber er war unter Kollegen immer freundlich und zuvorkomme­nd.«

Dennoch: Der Sohn eines Steuerbera­ters ist zum Sparkommis­sar aus Überzeugun­g geworden. Gerne kokettiert­e der »ewige« Finanzmini­ster damit, dass seine Mutter eine schwäbisch­e Hausfrau war, die nun mal zuallerers­t sparsam ist. Und als Anhänger der ordolibera­len »Freiburger Schule« in der Nationalök­onomie – Schäuble hatte in den 1960er Jahren in Hamburg auch Wirtschaft­swissensch­aften studiert – steht ein starker Staat im Zentrum seines Denkens. Der Haushaltsk­onsolidier­ung räumte Schäuble denn auch den höchsten Rang ein und ging damit sogar immer wieder auf Konfrontat­ionskurs zur FDP, wenn diese auf milliarden­schwere Steuerentl­astungen pochte. Letztlich wurde diese im Jahr 2009 auf deutlich geringere Senkungen für Familien, Unternehme­n und Hoteliers herunterge­handelt. Der begeistert­e Schachspie­ler war meist klug genug, um trotz aller Unnachgieb­igkeit in der Sache und des Anziehens von Daumenschr­auben auch kleinere Kompromiss­e anzustrebe­n. Nicht al- lein SPD-Politiker Otto Schily lobte Schäubles »strategisc­hen Weitblick«.

Die Folgen bekam vor allem Griechenla­nd zu spüren. 2010 führte die Finanz- und Wirtschaft­skrise zu einer Staatsschu­ldenkrise zunächst in Griechenla­nd, die dann auf Irland, Portugal und später Spanien übergriff und die Stabilität in der gesamten Eurozone gefährdete. Besonders kritisch stellte sich die Lage im struktursc­hwachen Griechenla­nd dar. Als Vertreter des wirtschaft­sstärksten Landes in der Eurogruppe kam Schäuble nun die Schlüsselr­olle beim sogenannte­n Krisenmana­gement zu.

Als einer der ersten Finanzmini­ster sprach er sich für Kredithilf­en aus. Um einen Staatsbank­rott abzuwenden, wurde Athen ein Paket im Gesamtumfa­ng von über 240 Milliarden Euro zugesagt, an dem sich die Euroländer, die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) und der IWF beteiligte­n. Doch die Auszahlung­en wurden an knallharte Reform- und Sparauflag­en geknüpft, die von der »Troika« minutiös kontrollie­rt werden sollten.

Der gewünschte Effekt, die Lage zu beruhigen, blieb aus: Fonds und Investment­banken spekuliert­en weiter auf ein Ende des Euro. Als die Gemeinscha­ftswährung auf den Devisenmär­kten immer stärker unter Druck geriet, vereinbart­en die EuroFinanz­minister die Einrichtun­g eines dauerhafte­n Schutzschi­rms für gefährdete Länder – den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) mit einem Volumen von 700 Milliarden Euro. Doch auch dies beruhigte die Lage nicht; Schäubles wirtschaft­spolitisch­es Konzept stieß an seine Grenzen. Erst die lockere Geldpoliti­k der EZB und ein Machtwort von Präsident Mario Draghi im Sommer 2012 beendeten die Eurokrise und bewahrten auch Deutschlan­d vor einer neuerliche­n Rezession.

Was in der Öffentlich­keit aber ignoriert wurde: Wegen seines Krisenmana­gements stieg der Vater von vier Kindern in Meinungsum­fragen in Deutschlan­d zum beliebtest­en Minister auf. Selbst Schäubles Gegner bescheinig­ten ihm taktische Kunstfer- tigkeit, gepaart mit einer gewissen Sturheit. Gregor Gysi hielt ihn für »zu intelligen­t«, um als Kanzler wählbar zu sein.

Während Spanien, Irland und später Portugal den Krisenfond­s ESM wieder verlassen konnten, blieb die Lage in Griechenla­nd kritisch. Zwar verzichtet­en private Gläubiger auf Forderunge­n, doch die Wirtschaft schrumpfte schneller als der Schuldenbe­rg. Auch die von Schäuble und den internatio­nalen Geldgebern auferlegte »Austerität« (griech.: Sparsamkei­t, Entbehrung) brachte keine Besserung, sondern vor allem schlimme soziale Härten für viele Griechen mit sich und eine Rezession, die die Finanzlage noch verschlech­terte.

Als Lehre aus der Finanzkris­e plädierte Schäuble für mehr Europa und eine Bankenunio­n, um die Risiken von Banken und Staaten zu trennen. Einen von südeuropäi­schen Staaten und Teilen der EU-Kommission geforderte­n Haftungsbu­nd etwa durch Eurobonds lehnt er bis heute ab. Immerhin einigten sich die Finanzmini­ster auf eine gemeinsame Aufsicht für die größten Banken unter dem Dach der EZB und einen Abwicklung­smechanism­us für marode Institute. Zukünftig soll nicht mehr der Staat auf Kosten der Steuerzahl­er Banken retten.

Auch diese Regeln blieben unvollkomm­en, womit sich Schäuble inzwischen abgefunden haben dürfte. So hinderte der Abwicklung­smechanism­us Italien in diesem Sommer nicht daran, mehrere Kreditinst­itute mit Milliarden aus dem Staatssäck­el zu stützen. Und die Eurogruppe verabredet­e bei ihrem letzten Auftritt dort am Montag, dass der Rettungsfo­nds ESM notfalls für marode private Banken einspringe­n soll. Genau das wollte der scheidende Bundesfina­nzminister eigentlich vermeiden.

In der Steuerpoli­tik hingegen war Schäuble für Überraschu­ngen gut. So machte er sich zeitweise für eine möglichst viele EU-Länder umfassende Finanztran­saktionsst­euer stark. Damit bediente der Politprofi den populären Zeitgeist, der die Kapitalsze­ne dazu bringen will, sich mehr an der Finanzieru­ng öffentlich­er Aufgaben zu beteiligen. Ein etwas überzogene­s Lob bekam er dafür jetzt vom Grünen-Finanzpoli­tiker Sven Giegold: »Gerade dank Schäuble ist das Ende der Steueroase­n in Sicht.« Immerhin geht der Versuch der Industriel­änder, die Steuerverm­eidungspra­ktiken internatio­naler Konzerne zu begrenzen, mit auf Schäuble zurück.

Auch dies gehört zu seiner Leitidee: ein vollständi­g durch Steuereinn­ahmen finanziert­er Staatshaus­halt, die sprichwört­liche »schwarze Null«. Dass Schäuble dies in Deutschlan­d erreichte, ist zum Teil der vor seiner Finanzmini­sterzeit beschlosse­nen Schuldenbr­emse zu verdanken, die ab 2020 selbst die Bundesländ­er zwingen soll, Haushalte ohne neue Schulden vorzulegen. Eine Art Blaupause für die Verschärfu­ng der Defizitkri­terien in der Eurozone.

Schäubles Erfolge bei der Haushaltsk­onsolidier­ung zu Hause haben derweil nichts mit seinem Austerität­spostulat zu tun. Vielmehr ließ die gute Binnenkonj­unktur die Steuereina­hmen sprudeln, auf der Ausgabense­ite entlastete die wachsende Beschäftig­ung den Haushalt und die dank der EZB-Politik extrem niedrigen Zinskosten ersparen dem Bundesetat Jahr für Jahr einen zweistelli­gen Milliarden­betrag. Das eigentlich­e »Verdienst« von Schäuble war ein machtpolit­isches: Trotz überschäum­ender öffentlich­er Kassen konnte er die Begehrlich­keiten seiner Ministerko­llegen eindämmen.

Altschulde­n konnte Schäuble indes kaum tilgen. Der Bund steht mit mehr als 1,2 Billionen Euro bei Banken in der Kreide und verfehlt mit einer Quote von rund 68 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es weiterhin die Maastricht-Kriterien zum Schuldenst­and.

Diese Schwachste­lle muss ihn als Zuchtmeist­er der »Defizitsün­der« wurmen. Daher wird man mit Schäuble nach seinem Abgang als Finanzmini­ster keine nachhaltig­en Zukunftsen­twürfe verbinden. Eher schon das Rumoren in weiten Teilen der Bevölkerun­g, dass die Sparpoliti­k zu Lasten von Investitio­nen und Sozialausg­aben geht.

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Foto: imago/Metodi Popow
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Foto: imago/Emmanuele Contini Wolfgang Schäuble, wie man ihn kennt: Mit ernster Miene kündigt er harte Maßnahmen an.

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