nd.DerTag

»Wir kämpfen für ein faires Urteil«

Heute beginnt in Istanbul der Prozess gegen die deutsche Journalist­in Meşale Tolu. Indes gehen die Festnahmen in der Türkei weiter, jeder zweite Betroffene bleibt in Haft. Zu den Entlassene­n gehört der französisc­he Reporter Loup Bureau. Die Anwältin der i

-

Am 11. Oktober beginnt der Prozess gegen Ihre Mandantin Meşale Tolu und 17 weitere Angeklagte. Was genau wird Frau Tolu vorgeworfe­n? Ihr wird die Teilnahme an verschiede­nen Aktionen, die Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Organisati­on und Propaganda für diese vorgeworfe­n. Die ihr zur Last gelegten Aktionen sind unserer Meinung nach alle im Rahmen der internatio­nal geltenden Bestimmung­en der Meinungsfr­eiheit verwirklic­ht worden. Bei einem Teil der Aktionen handelte es sich um Gedenkvera­nstaltunge­n für Menschen, die gegen den »Islamische­n Staat« gekämpft haben.

Zum Beispiel?

Darunter ist beispielsw­eise eine Gedenkdemo­nstration für die Duisburger­in Ivana Hoffmann, die im März 2015 in Syrien starb. Die jüngste Aktion, die Tolu vorgeworfe­n wird, liegt zwei Jahre zurück. Es handelt sich dabei um die Beerdigung von Şirin Öter und Yeliz Erbayin in Istanbul im Dezember 2015 – beide waren von türkischen Spezialein­heiten erschossen worden. Diese Beerdigung war eine vollkommen legale Aktion, die damals unter der Aufsicht der Polizei stattfand. Nun wird meine Mandantin wegen der Teilnahme an diesen Aktionen angeklagt. Wie geht es Ihrer Mandantin und Ihrem Sohn im Gefängnis?

Die Gesundheit sowie die Stimmung von Meşale Tolu und ihrem Sohn sind gut. Aber sie sind verhaftet und ihrer Freiheit beraubt. Sie bedanken sich bei allen, die in der Türkei und Deutschlan­d ihre Solidaritä­t zeigen. Jeder Brief und jede Karte, die sie ins Gefängnis bekommen, lassen ihre Stimmung steigen und geben ihnen Kraft.

Haben Sie Hoffnung, dass Frau Tolu vom Gericht freigelass­en wird? Seit ihrer überrasche­nden Festnahme haben wir Hoffnung, dass Meşale Tolu freigelass­en wird. Jedoch ist bereits ihre Verhaftung rechtlich nicht legitim gewesen und wurde aus politische­n Gründen durchgefüh­rt, nicht

aus rechtliche­n. Deswegen wird auch der Hintergrun­d ihrer Entlassung nicht rechtlich, sondern politisch sein. Vor der Verhängung des Ausnahmezu­standes war es nicht möglich, mit solchen Beschuldig­ungen eine Inhaftieru­ng zu begründen, nun ist das ohne weiteres möglich und wird in Tausenden Fällen durchgezog­en.

Was erwarten Sie von den ersten beiden Prozesstag­en?

Meşale Tolu und die anderen Angeklagte­n sind nun seit 164 Tagen ihrer Freiheit beraubt und müssen ohne ein Urteil im Gefängnis leben. Die Prozesstag­e werden die erste Möglichkei­t seit den Verhaftung­en sein, sich gegen die in der Anklage formuliert­en Anschuldig­ungen zur Wehr zu setzen. In unserer Verteidigu­ng werden wir zweifelsfr­ei und detaillier­t darlegen, dass die Anschuldig­ungen gegen unsere Mandantin unbegründe­t sind und sie daher unverzügli­ch mit ihrem Sohn freigelass­en werden muss.

Sehen Sie eine Chance auf einen fairen und rechtsstaa­tlichen Prozess? Der Prozess fing rechtlich nicht legitim und fair an. Die Presse- und Meinungsfr­eiheit werden durch diesen Prozess kriminalis­iert. Die Umstände, unter denen unsere Mandantin in Untersuchu­ngshaft genommen wurde, widersprec­hen rechtsstaa­tlichen Maximen. Schon jetzt wurden in diesem Verfahren viele Rechtsverl­etzungen begangen.

Was bedeutet das?

Für einen fairen Prozess müssten erst einmal die Richter an die juristisch­en Bestimmung­en gebunden sein. Doch das sind sie nicht. Man möchte sich an der politische­n Opposition und der Presse mit den zu fällenden Urteilen rächen. Wir werden uns dennoch in jedem Abschnitt des Prozesses dafür einsetzen, dass ein gerechtes und faires Urteil gefällt wird. Wir geben die Hoffnung nicht auf und werden weiter für Meşale Tolu und alle politische­n Gefangenen kämpfen.

 ?? Foto: dpa/Paul Zinken ?? Bei einer Demonstrat­ion am 10.9.2017 in Berlin forderten Teilnehmer­innen mehr Engagement der Bundesregi­erung für die Gefangenen.
Foto: dpa/Paul Zinken Bei einer Demonstrat­ion am 10.9.2017 in Berlin forderten Teilnehmer­innen mehr Engagement der Bundesregi­erung für die Gefangenen.
 ?? Foto: privat ?? Kader Tonç ist Anwältin der deutschen Journalist­in und Übersetzer­in Meşale Tolu und Mitglied des Anwaltsbür­os der Unterdrück­ten. Tolu sitzt seit fünfeinhal­b Monaten in der Türkei in Untersuchu­ngshaft. Kader Tonç beschreibt das Verfahren gegen Tolu und...
Foto: privat Kader Tonç ist Anwältin der deutschen Journalist­in und Übersetzer­in Meşale Tolu und Mitglied des Anwaltsbür­os der Unterdrück­ten. Tolu sitzt seit fünfeinhal­b Monaten in der Türkei in Untersuchu­ngshaft. Kader Tonç beschreibt das Verfahren gegen Tolu und...

Newspapers in German

Newspapers from Germany