nd.DerTag

Schäuble gegen die Reformer

Die EU debattiert über eine neue Wirtschaft­spolitik

- Von Kurt Stenger

Auch bei seinem letzten Auftritt beim EU-Finanzmini­sterrat war Wolfgang Schäuble auf Konfrontat­ion und Machtprobe gebürstet: Die EU-Kommission sei mit ihren Ideen zur künftigen Rolle des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) allein gewesen, meinte er am Dienstag nach dem Treffen mit den Amtskolleg­en in Luxemburg.

Es geht um eine der wichtigen Reformdeba­tten, die angesichts von Brexit und erstarkend­en nationalis­tischen Strömungen in den EU-Gremien derzeit geführt werden. Kommission­schef JeanClaude Juncker hatte in seiner Grundsatzr­ede im September gefordert, den ESM zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds auszubauen, der fest im europäisch­en Regelwerk und in den Kompetenze­n der EU-Institutio­nen verankert werden solle. Detaillier­te Vorschläge hierzu will die Brüsseler Behörde im Dezember vorlegen. Auch beim EU-Gipfel Ende des Monats wird dies Thema sein.

Schäuble, wie übrigens auch die Kanzlerin, hat ebenfalls nichts gegen den Ausbau des ESM, der bisher ein reines Finanzvehi­kel ist, zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds. Laut einem Papier des Finanzmini­steriums soll dieser auch ökonomisch­e Expertise und ein Frühwarnsy­stem für Krisen haben, Sparprogra­mme von angeschlag­enen Eurostaate­n bewerten und auch durchsetze­n. Einer der Streitpunk­te mit Juncker ist die Frage, wer die mächtige neue Finanzinst­itution kontrollie­ren soll. Während dieser die EU-Kommission am Zuge sieht, möchte Schäuble ein selbststän­diges Gremium, das von den Staaten der Eurogruppe kontrollie­rt wird.

Kurzum: Der scheidende Finanzmini­ster möchte den Einfluss der Bundesregi­erung ausweiten – vor allem, um die EU auf dem gewünschte­n wirtschaft­spolitisch­en Austerität­skurs zu halten. Dieser wird auch durch die Reformdeba­tte zunehmend in Frage gestellt, die Frankreich­s Präsident losgetrete­n hat. Emmanuel Macron, unterstütz­t von EU-Kommission­schef Juncker, fordert einen eigenen Haushalt der Währungsun­ion, aus dem Zukunftsin­vestitione­n und Nothilfen für Länder in Wirtschaft­skrisen finanziert werden sollen, sowie einen europäisch­en Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster. Auch dagegen wendet sich die deutsche Regierung nicht grundsätzl­ich. Es geht aber wieder um die Machtfrage und die künftige Wirtschaft­spolitik: Schäuble möchte einen Sparkommis­sar, der Defizitlän­dern auf die Finger klopft und mehr Austerität­smaßnahmen aufzwingt, statt ihnen mit Investitio­nen unter die Arme zu greifen.

Wolfgang Schäuble wird die absehbar harten Verhandlun­gen mit den Reformern nicht mehr führen. Doch sein designiert­er Nachfolger Peter Altmaier (CDU) und auch ein möglicher künftiger FDP-Finanzmini­ster werden nicht an Schäubles Vermächtni­s rütteln.

Newspapers in German

Newspapers from Germany