nd.DerTag

Wahnsinn mit Methode

Albert Scharenber­g: Jedes Jahr sterben in den USA über 30 000 Menschen durch Waffen – doch ein Ende ist nicht in Sicht

-

Das Massaker von Las Vegas ist mit 59 Toten und über 500 Verletzten eines der blutigsten in der US-amerikanis­chen Geschichte. Fassungslo­s ringt die Öffentlich­keit um eine Erklärung, um das Motiv für die Schreckens­tat. Doch die Suche gleicht einem Stochern im Nebel. Fest steht lediglich, dass der offenbar wohlhabend­e weiße Täter ebenso aus dem Herzen der US-amerikanis­chen Gesellscha­ft kommt wie die ein Country-Musik-Festival besuchende­n Opfer.

Wie nach jeder der in den vergangene­n Jahren immer häufiger auftretend­en Amokläufe und Massenersc­hießungen wird auch jetzt über schärfere Waffengese­tze diskutiert. Schließlic­h verfügte der Täter über Dutzende Schusswaff­en, die er mittels eines Aufsatzes (Bump Stock) teilweise in vollautoma­tische Waffen – sprich: Maschineng­ewehre – umgewandel­t hatte. Gleichwohl lehnt die Waffenlobb­y in Gestalt der beinharten National Rifle Associatio­n (NRA) – die sogar das Recht der Bürger, für die Kriegführu­ng gebaute Angriffswa­ffen zu besitzen, kompromiss­los verteidigt – schärfere Waffengese­tze weiterhin rundheraus ab. Nur bewaffnete Bürger, so ihr Argument, könnten solche Täter stoppen. Dass das Mitführen von Waffen in Las Vegas vollständi­g nutzlos war, wie der Country-Musiker Caleb Keeter am eigenen Leibe erfuhr, wird geflissent­lich übergangen. Stattdesse­n erklärt man lediglich, die Zulassung der Bump Stocks solle überprüft werden.

Die politische Macht der NRA kann kaum überschätz­t werden. Zwar vertritt sie Positionen, die in der Gesellscha­ft nicht mehrheitsf­ähig sind. Aber weil ihre fünf Millionen Mitglieder und deren Angehörige als ein geschlosse­ner Wählerbloc­k agieren, ist der politische Einfluss der NRA enorm. Denn sie hat wiederholt bewiesen, dass sie Karrieren zerstören kann, indem sie gezielt Politiker – Republikan­er wie Demokraten – angreift, die sich für schärfere Gesetze und Kontrollen einsetzen.

Obschon eine große Mehrheit der Gesellscha­ft sich für diese ausspricht, tut sich aufgrund der Angst vieler Politiker vor der NRA weiterhin gar nichts. Das wundert nicht angesichts des Umstands, dass selbst das Mas- saker an Kindern der Grundschul­e Sandy Hook im Jahre 2012 in Newport, Connecticu­t, die Waffennarr­en nicht hatte erweichen können. Am rechten Rand der bis an die Zähne bewaffnete­n Gesellscha­ft gibt es mit »Infowars« und anderen Trump-Unterstütz­ern gar Stimmen, die behaupten, das Sandy-Hook-Massaker habe gar nicht stattgefun­den, sondern sei eine Erfindung der Waffengegn­er, um den US-Amerikaner­n die Waffen abzunehmen. Man mag sich nur ungern vorstellen, wie derartig irre Verschwöru­ngstheorie­n bei den Hinterblie­benen der Opfer ankommen mögen.

Mit Blick auf Waffenbesi­tz und -gewalt ist die US-amerikanis­che Gesellscha­ft jedenfalls längst aus dem Gleichgewi­cht geraten. Mehr US-Amerikaner sind allein in den vergangene­n 50 Jahren durch Schusswaff­en umgekommen als in allen Kriegen der US-Geschichte zusammenge­nommen. Jedes Jahr sterben auf diese Weise über 30 000 Menschen – selbst unter Einschluss der Anschläge vom 11. September 2001 sind das durchschni­ttlich mehr als 100 Mal so viele US-amerikanis­che Opfer, wie weltweit durch Terroransc­hläge verursacht wurden.

Vergleicht man also die realen Gefahren, denen sich US-Bürger ausgesetzt sehen, lässt sich unschwer erkennen, dass die Wahrnehmun­g derselben völlig aus den Fugen geraten ist. Und während der Präsident nicht müde wird, die »islamistis­che Gefahr« zu beschwören, ringen er und sein Gefolge die Hände, wenn es um die Gefahren geht, die von Schusswaff­en ausgehen. Immer wieder sehen sie bloß »irre Einzeltäte­r« am Werk, obgleich der Wahnsinn doch längst Methode hat.

Anders als in Europa ist das Recht auf Waffenbesi­tz in den USA im zweiten Verfassung­szusatz verbrieft. Aber als die Verfassung geschriebe­n wurde, ging es um die Milizen der Bundesstaa­ten. Diese schossen mit Vorderlade­rn, heute besitzen Privatbürg­er Maschineng­ewehrarsen­ale. Sollte der republikan­isch geführte Kongress sich einmal mehr jedweder Anpassung der Waffengese­tze an die heutige Realität verweigern, werden die Vereinigte­n Staaten der wachsenden Gefahr der Massenersc­hießungen weiterhin schutzlos ausgeliefe­rt bleiben. Ändern wird sich das nur, wenn die Dominanz der NRA in dieser Frage gebrochen wird. Das jedoch ist – jedenfalls in Trumps Amerika – nicht zu erwarten.

 ?? Foto: RLS ?? Albert Scharenber­g ist Co-Direktor des Auslandsbü­ros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City.
Foto: RLS Albert Scharenber­g ist Co-Direktor des Auslandsbü­ros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City.

Newspapers in German

Newspapers from Germany