nd.DerTag

Unterlassu­ng einer Wahrheit

Ex-Innenminis­ter Schily klagt in Sachen NSU gegen Grünen-Chef Özdemir

- Von René Heilig

Ex-Innenminis­ter Otto Schily klagt gegen Grünen-Chef Cem Özdemir. Es geht um einen mörderisch­en Anschlag des NSU in Köln. Die Aufklärung bringt das nicht voran. Landgerich­t München I, Mittwoch 10.30 Uhr, Sitzungssa­al 219. Aufgerufen ist der Fall Otto Schily (SPD) gegen Cem Özdemir (Grüne). Das Verfahren geht bereits in die zweite Runde. Der ehemalige Bundesinne­nminister behauptet, der Grünen-Chef habe in einem Buch die Unwahrheit geschriebe­n. Özdemir meint, dass nach dem vom Nationalso­zialistisc­hen Untergrund (NSU) in der Kölner Keupstraße verübten Bombenansc­hlag die Stoßrichtu­ng der polizeilic­hen Ermittlung­en vorgegeben war. Zitat: »Ein terroristi­scher Hintergrun­d wurde ... bereits einen Tag nach dem Anschlag ausgeschlo­ssen – von keinem geringeren als dem damaligen Bundesinne­nminister Otto Schily.«

Mit dieser Ansicht steht Özdemir nicht allein. Auch der erste NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s kam in seinem Abschlussb­ericht zu einer ähnlichen Aussage. Wie soll- te es auch anders sein, wenn Schily der »Tagesschau« am 10. Juni 2004 gesagt hat: »Die Erkenntnis­se, die unsere Sicherheit­sbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristi­schen Hintergrun­d, sondern auf ein kriminelle­s Milieu.« Freilich schiebt der Minister den üblichen Satz von den noch nicht abgeschlos­senen Ermittlung­en, die eine abschließe­nde Beurteilun­g noch nicht möglich machten, nach. Doch das ändert wenig daran, dass die deutschen Sicherheit­sbehörden die Morde, die Anschläge und die Überfälle des NSU vor dessen Auffliegen nie richtig eingeordne­t und untersucht haben.

Schily behauptete in einem Schreiben an den Verlag, dass zum damaligen Zeitpunkt »den Sicherheit­sbehörden die Existenz einer terroristi­schen rechtsradi­kalen Gruppe nicht bekannt« war. Gerade so, als träfe ihn, den zuständige­n Minister, daran keine Schuld. Offenkundi­g hat Schily sich auch im Nachhinein nicht mit den Vorgängen befasst, denn sonst könnte ihm nicht entgangen sein, dass in einer im Juli 2004 beim Bundesamt für Verfassung­sschutz gedruckten Analyse eben diese Möglichkei­t terroristi­scher Anschläge von rechtsextr­emen Kleinstgru­ppen und Einzel- personen geschilder­t wurde. Man bezog sich dabei ausdrückli­ch auf das 1998 in Jena untergetau­chte NSUTrio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und die jetzt in München angeklagte Beate Zschäpe.

Der Streit zwischen Schily und Özdemir könnte als Randnotiz durchgehen, wenn Schilys Amtszeit

als Innenminis­ter nicht zwischen 1998 und 2005 gelegen hätte. In der Zeit haben die Rechtsterr­oristen mindestens sieben Menschen umgebracht und drei Bomben gezündet. Eine Entschuldi­gung des damals für die Sicherheit der Bürger verantwort­lichen Ministers hat man bislang nicht gehört. Zudem werden die Verfehlung­en der Sicherheit­s- und Geheimdien­stbehörden inzwischen wieder sträflich bagatellis­iert. Im Bund wie in den Ländern.

Verschiede­ne parlamenta­rische Untersuchu­ngsausschü­sse haben ihre Berichte vorgelegt. Sie sind mittlerwei­le abgeheftet. Dass Behörden und Regierunge­n daraus gründlichs­t Schlussfol­gerungen gezogen haben, ist eher die Ausnahme. Einige Ausschüsse tagen noch, zumeist mit gebremster Kraft. Warum nur? Man stößt doch immer wieder auf interessan­te Zusammenhä­nge.

Beispielsw­eise diese Woche in Stuttgart. Befragt wurde der Steuerbera­ter Michael D. Der stammt aus Heilbronn, wo 2007 die Polizistin Michèle Kiesewette­r angeblich vom NSU umgebracht wurde. D. war schon bei den Republikan­ern und der DVU aktiv, gründete das »Nationale Bündnis Heilbronn« sowie die »Freiheitli­che Initiative Heilbronn«. Auch sonst war er gut vernetzt in rechtsextr­emistische­n Strukturen.

Am Kiesewette­r-Mordtag habe er daheim auf Freunde gewartet, um Karten zu spielen. Die jedoch seien ausgeblieb­en, weil die Polizei ja die ganze Innenstadt abgesperrt hatte.

Es ist durchaus interessan­t, den Freundeskr­eis von D. genauer zu betrachten. Dazu gehört eine Frau namens Nicole Schneiders. Man kennt sie vom NSU-Prozess in München. Die Rechtsanwä­ltin vertritt den Angeklagte­n Ralf Wohlleben. Er soll dem NSU-Trio die Mordwaffe besorgt haben. D. kennt auch einen Thomas S. aus Chemnitz in Sachsen. Der Neonazi war mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe befreundet und soll geholfen haben, das Trio zu verstecken. Am Rande soll er Zuträger des Berliner Landeskrim­inalamtes gewesen sein.

Bei einer Feier hat D. auch Tino Brandt kennengele­rnt. Das war die Führungsfi­gur des Thüringer Heimatschu­tzes, aus dem der NSU hervorgega­ngenen ist. Brandt, der Ende 2014 wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern und Förderung von Prostituti­on zu fünfeinhal­b Jahren verurteilt worden ist, arbeitete auch für den Verfassung­sschutz in Thüringen.

Eigentlich hätten Sicherheit­sbehörden und Justiz ausreichen­d zu tun – allein, sie sind ja mit so wichtigen Fällen wie Schily kontra Özdemir befasst.

»Ein terroristi­scher Hintergrun­d wurde bereits einen Tag nach dem Anschlag ausgeschlo­ssen – von keinem geringeren als dem damaligen Bundesinne­nminister Otto Schily.« Cem Özdemir (Grüne) über den Anschlag des NSU in der Kölner Keupstraße

 ?? Foto: dpa/Oliver Berg ?? Die Keupstraße in Köln, ein Anschlagso­rt des NSU
Foto: dpa/Oliver Berg Die Keupstraße in Köln, ein Anschlagso­rt des NSU

Newspapers in German

Newspapers from Germany