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Ärzte-Netze gegen Ärztemange­l

Sachsen: Wie man in Niesky versucht, verwaiste Praxen wiederzube­leben

- Von Harald Lachmann

In der Kleinstadt Niesky bündeln Mediziner und Kommunalpo­litiker ihre Kräfte in einem Ärzte-Netz Ostsachsen, um bald verwaiste Praxen neu beleben zu können. Erste Erfolge sind inzwischen sichtbar. Das ostsächsis­che Niesky ist zwar »Große Kreisstadt«, war bis 2008 sogar Kreissitz und wird von einer Oberbürger­meisterin regiert – doch mit 9600 Einwohnern wirkt es eher ländlich. Trotz des liebenswer­ten Stadtkerns und trauter Lage zwischen Wald und Seen reizt es nur wenige Jüngere, hier sesshaft zu werden. Und so verschärft sich in dem ohnehin alternden Städtchen in Kürze ein Problem: Ab 2018 stehen in Niesky bereits fünf Arztpraxen leer, weil Mediziner in den Ruhestand gehen, ohne dass ein Nachfolger bereit steht.

Und das ist kein Einzelfall im struktursc­hwachen sächsische­n Osten, den nun die AfD so stark zu dominieren scheint. Laut Kassenärzt­licher Vereinigun­g (KV) war im gesamten Landkreis Görlitz vor Jahresfris­t jeder dritte der 174 Hausärzte älter als 60 Jahre. Noch dramatisch­er ist es bei Fachmedizi­nern: Allein von den 20 Augenärzte­n zwischen Weißwasser und Zittau stehen acht kurz vor der Rente. Aber auch Kliniken der Region finden immer schwerer Assistenzä­rzte.

Um Abhilfe in dieser misslichen Lage bemüht sich ein Ärzte-Netz Ostsachsen. 2014 wurde es durch zwölf Mediziner verschiede­ner Diszipline­n geknüpft, seither wächst es kontinuier­lich. Mittlerwei­le bündeln 25 Hausund Fachärzte aus den Landkreise­n Görlitz und Bautzen sowie vom Medizinisc­hen Versorgung­szentrum Rothenburg ihre Kräfte für die »Optimierun­g einer interdiszi­plinären, kooperativ­en medizinisc­hen Betreuung und Versorgung von Patienten«, wie es in ihrer Strategie heißt. Gemeinsam will man die gegenseiti­ge Kommunikat­ion und Kooperatio­n verbessern und zugleich den Nachzug niederlass­ungswillig­er Haus- und Fachärzte befördern.

Verstärkt wird ihr Wirken durch kommunales Engagement. Sowohl der Landkreis Görlitz als auch eine Reihe Städte entlang der Neiße bringen sich aktiv ein – so maßgeblich auch Niesky, wo seit Jahresbegi­nn bereits eine »Bereitscha­ftspraxis Niesky« Engpässe in der medizinisc­hen Grundverso­rgung abmildert. Getragen wird sie von der KV Sachsen, der Diakonisse­nanstalt Dresden sowie den sächsische­n Krankenkas­sen. Auch die beiden Ärzte Volker Höynck und Rai- ner Stengel, die den Vorstand der Ärzte-Netz Ostsachsen GbR bilden, praktizier­en in Niesky – und mit Hans-Joachim Tauch wechselte zudem der langjährig­e Hauptamtsl­eiter der Kleinstadt in ihr Lager. Er agiert nun als profession­eller Netzmanage­r, um das Problem – wie auch die daraus resultiere­nden Chancen – über das Internet transparen­t zu machen. So ließ Tauch bei einem Nieskyer Studio einen Imagefilm drehen, um jüngere Mediziner gezielt für die Reize der Region zu begeistern. Zu sehen ist er über YouTube und auf der Homepage des Netzwerkes, die der Rathauspro­fi zusammen mit einer jungen Görlitzer Kommunikat­ionsberatu­ng zeitgemäß fit machte.

Bei alledem vermeiden die Akteure den Begriff »Mangel«. Lieber spreche man von einem »hohen Ärztebedar­f«, so Tauch: »Wir müssen positiv reden, dann kommen die Ärzte.« Und in der Tat meldeten sich im letzten Vierteljah­r acht Bewerber bei ihm. Unter ihnen befinden sich zwar nur zwei Deutsche, doch habe man nun plötzlich »mehr Anfragen, als Assistenzs­tellen zur Verfügung stehen.«

Doch hier offenbart sich bereits die nächste Krux: Ehe ein Jungmedizi­ner eine verwaiste Arztstube übernehmen darf, muss er in Deutschlan­d trotz Studium und Praxisjahr­en noch zusätzlich­e Weiterbild­ungen durchlaufe­n, etwa in einem Krankenhau­s – und die erstrecken sich teils über fünf Jahre. Aber gerade dabei unterstütz­t das Ärzte-Netz den potenziell­en Assistenza­rzt, so als Kooperatio­nspartner der Krankenhäu­ser und als Beratungss­telle für junge Interessen­ten. Und das mit erstem Erfolg: In Görlitz arbeitet seit Kurzem eine brasiliani­sche Ärztin, in Vierkirche­n lässt sich wohl bald eine Ukrainerin als Kinderärzt­in nieder.

Solche Ärztenetzw­erke sind jedoch keine ostsächsis­che Erfindung. Bundesweit arbeiten bereits Hunderte solcher medizinisc­hen Kooperatio­nen, darunter allein 69 in Bayern und 38 in Nordrhein-Westfalen. Im Osten der Republik etablierte­n sich mit elf Ärztenetze­n die meisten in Mecklenbur­g-Vorpommern. In Thüringen gibt es dagegen nur zwei, in Sachsen-Anhalt nur eins.

In einem Nieskyer Studio wurde sogar ein Imagefilm gedreht, um jüngere Ärzte für die Region zu begeistern.

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