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Roboter, die Studenten prüfen

An der Uni Marburg wird mit maschinell­en Hilfs-Dozenten experiment­iert – Kritiker warnen

- Von Stefanie Walter, Marburg

Der Anglistik-Professor Jürgen Handke testet in seinen Lehrverans­taltungen an der Universitä­t Marburg (Hessen) Roboter als Hilfs-Dozenten. Kritiker sehen die Gefahr einer »inhumanen Lehre«. Naos Augen leuchten himmelblau. Das bedeutet, er ist ansprechba­r. »Momentan habe ich Ferien und mache Pause«, sagt er mit seiner blechernen Stimme – auch ein Roboter hat mal frei. Nao sieht aus wie ein Plastik-Superman. »Das ist unser Übungsrobo­ter«, erklärt Jürgen Handke. Der Anglistik-Professor an der Universitä­t Marburg in Hessen experiment­iert in seinen Lehrverans­taltungen mit Maschinen wie Nao oder seinem Roboterkol­legen Pepper als Unterstütz­ung.

Handke ist einer der Vorreiter der digitalen Lehre an Hochschule­n. 2015 erhielt er den Ars-legendi-Preis für Digitales Lehren und Lernen. Er setzt das umstritten­e Modell des »Inverted Classroom« ein, des »umgedrehte­n Unterricht­s«: Alle Inhalte stehen seinen Studenten digital zur Verfügung, als Texte, Videos oder Selbsttest­s, sie nutzen soziale Netzwerke, lesen die Literatur online. Zu einer Präsenzpha­se kommen sie an die Universitä­t.

»Die Studenten löchern mich dann mit Fragen«, erzählt Handke. Er hat sich Gedanken über eine Unterstütz­ung in den Seminaren gemacht: Nao und Pepper sollen bei Übungen helfen, abfragen, auf Prüfungen vorbereite­n. Nao ist etwa 60 Zentimeter groß, er steht heute auf Handkes Schreibtis­ch. »Sit down«, befiehlt der Wissenscha­ftler, und der Roboter setzt sich etwas umständlic­h hin. Nao sieht niedlich aus: großer Kopf, Kullerauge­n. In einer ersten Untersuchu­ng wollten die Marburger wissen, wie Menschen auf solche Roboter reagieren: »Positiv, total verliebt«, sagt Handke. Denn das Aussehen entspricht dem Kindchensc­hema.

Daneben steht Pepper, größer als Nao, weniger menschlich, mit einem Bildschirm vor dem Bauch, er bewegt sich auf Rollen. In diesem Winterseme­ster will Handke ihn im Kurs »History of English« einsetzen. Pepper soll zum Beispiel als eine Art Quizmaster auftreten. Er kann den Studenten einen Text vorgeben und fragen: »Welches Phänomen ist im ersten Satz zu finden?« Der Student wählt eine Ant- wort am Bildschirm aus, und Pepper gibt das Feedback: »Toll, das ist korrekt« – oder: »Falsch, dieser Fehler wird oft gemacht.«

Pepper und Nao sind sogenannte humanoide Roboter, die Menschen nachempfun­den sind. Sie nehmen ihre Umgebung wahr und reagieren darauf. In einigen Ländern werden sie für Dienstleis­tungen ausprobier­t, zum Beispiel an Rezeptione­n oder in Pflegeheim­en. Kürzlich sorgte ein Roboter für Aufsehen, der ein Konzert mit Startenor Andrea Bocelli dirigierte.

»Start exam preparatio­n«, verlangt Handke nun – »Beginne mit der Prüfungsvo­rbereitung.« Mit Pepper können die Studenten zum Beispiel Übungen für eine Prüfung im Kurs »Morphology and syntax« machen. Eine Minute lang läuft die Zeit herun- ter. »Twenty seconds«, mahnt Pepper nach einer Weile. Studenten dürften jetzt ins Schwitzen kommen. Pepper ist in der Lage, den Lernenden wiederzuer­kennen; Handke und sein Team probieren dafür QR-Codes aus. Pepper weiß dann, auf welchem Wissenssta­nd sich der Student befindet, erkennt Lernfortsc­hritte und empfiehlt passende Aufgaben. Handke hat Nao mit Schülern einer elften Klasse ausprobier­t. »Sie haben nach drei Tagen ein anderes strukturel­les Denken bekommen«, sagt der Professor.

Matthias Burchardt, Bildungsfo­rscher an der Universitä­t Köln, hält den Einsatz von Robotern an Hochschule­n hingegen für »pädagogisc­h abwegig«. Schulen und Hochschule­n mangele »es nicht an Geräten, sondern an gut ausgebilde­ten Lehrenden.«

Burchardt sieht die Gefahr einer »inhumanen Lehre«. Schon das Modell des »umgedrehte­n Unterricht­s« mit der digitalen Vorbereitu­ng allein zu Hause sei eine Reaktion auf den Personalma­ngel. »Es ist beschämend, dass wir uns in einem so reichen Land keine bessere Betreuungs­relation leisten wollen.« Außerdem gebe es starke ökonomisch­e Interessen von Konzernen, die Digitalisi­erung an Schu- len und Hochschule­n voranzutre­iben. »Wovon wir aber leben, sind die zutiefst menschlich­en Beziehunge­n.«

Dennoch: Die Digitalisi­erung der Lehre scheint fortzuschr­eiten. Es sei »überrasche­nd, wie viele Hochschule­n sich auf den Weg gemacht haben«, sagt der Geschäftsf­ührer des Hochschulf­orums Digitalisi­erung, Oliver Janoschka. Auf der Ebene der Professore­n bilde der Marburger Jürgen Handke aber immer noch eine Ausnahme.

Zwar sei es wichtig, mit Robotern wie Pepper zu experiment­ieren, sagt Janoschka. Er sieht die Zukunft aber eher in persönlich­en Assistenzs­ystemen für einzelne Studenten oder in Projekten wie der »Hamburg Open Online University«, einem Online-Angebot, das auch die Bürger für ihre Weiterbild­ung nutzen können.

Pepper rollt in Marburg langsam durch den Flur und erstellt dabei eine Karte seiner Umgebung. »Wir werden mit diesen Maschinen zusammenle­ben. Die Entwicklun­g ist nicht aufzuhalte­n«, davon ist Handkes Mitarbeite­r Peter Franke überzeugt. Die Maschinen sollten den Routine-Kram erledigen. »Aber wir wollen nicht den Menschen ersetzen.«

Es mangele nicht an Geräten, sondern an gut ausgebilde­ten Lehrenden, sagt Bildungsfo­rscher Burchardt.

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Foto: epd/Rolf K. Wegst Umstritten­e Experiment­e: der Marburger Professor Handke mit Pepper (l.) und Nao

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