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Zu kooperativ für Solidaritä­t?

Die Anti-Knast-Tage in Berlin beleuchtet­en die Situation der Gefangenen nach den Hamburger G20-Protesten

- Von Peter Nowak

Bei vielen libertären Linken ist kooperativ­es Verhalten mit Gerichten oder anderen Staatsorga­nen nicht gerne gesehen. So stößt das Einlenken vieler junger G20-Häftlinge nicht bei allen auf Verständni­s. Die juristisch­e Nachlese der Proteste gegen den G20-Gipfel ist im vollen Gange. Die ersten elf Angeklagte­n vor dem Hamburger Amtsgerich­t haben die ihnen vorgeworfe­nen Taten eingeräumt, um Entschuldi­gung gebeten und nahmen das Entgegenko­mmen der Gerichte dankbar an, wenn diese – wie in vielen Fällen geschehen – die von der Staatsanwa­ltschaft geforderte­n hohen Strafen zur Bewährung aussetzten.

Doch immer noch sitzen seit Anfang Juli rund 30 Personen im Knast – die meisten von ihnen in Untersuchu­ngshaft. Unter ihnen der 21-jährige nicht vorbestraf­te Niederländ­er Peike S., der wegen zweier Flaschenwü­rfe auf Polizeibea­mte zu einer ungewöhnli­ch hohen Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war.

Bei vielen Hamburger G20-Häftlinge können Gemeinsamk­eiten ausgemacht werden. Oft sind die Beschuldig­ten recht jung, leben im europäisch­en Ausland und arbeiten in geregelten Arbeitsver­hältnissen. Ihr größter Wunsch ist es, das Gefängnis und Deutschlan­d zu verlassen. Um ihre Gerichtspr­ozesse zu verkürzen, kooperiere­n sie mit den Behörden.

Über die Repression­sbedingung­en wurde am vergangene­n Wochenende auf den Anti-Knast-Tagen im Berliner Mehringhof debattiert. Ein Bündnis verschiede­ner libertärer Gruppen hatte ein vielfältig­es Programm vorbereite­t, an dem auch Vertreter_innen aus den Reihen der Zeitschrif­t »Gefangenen­info« und der »Roten Hilfe« teilnahmen. Insgesamt waren über 200 Besucher_innen aus Deutschlan­d und Österreich angereist, sie setzten sich zwei Tage lang mit den unterschie­dlichen Aspekten von Gefängnis auseinande­r.

Vielen auch in der radikalen Linken sei heute oft nicht klar, dass eine Demonstrat­ion mit Gefängnis enden kann, so der Tenor. Das schaffe Ängste und führe dann dazu, dass die Betroffene­n nur noch darüber nachdenken, wie sie schnell wieder aus dem Gefängnis entkommen können. So zumindest erklärten sich die meist jungen Teilnehmer_innen der Tagung die große Bereitscha­ft zur Kooperatio­n bei den Hamburger Gerichtsve­rfahren. Ein junger Mann sprach auch von einer Niederlage für die außerparla­mentarisch­e Linke.

Wolfgang Lettow gehörte zu den älteren Teilnehmer­n der Anti-KnastTage. Der Redakteur der Zeitschrif­t »Gefangenen­info« hat bereits Ende der 1970er Jahre mit der Solidaritä­tsarbeit begonnen, als Gefängniss­e noch voll mit politische­n Gefangenen und die Gerichtssä­le zu klein für die vielen Prozessbes­ucher_innen waren.

In seinen Vortrag ging er auf die heute im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren stark veränderte soziale Zusammense­tzung in den deutschen Gefängniss­en ein. Neben Menschen aus der Türkei und Kurdistan, die heute das Gros der politische­n Gefangenen stellen, säße auch eine steigende Anzahl sogenannte­r sozialer Gefangener aufgrund von Delikten wie Schwarzfah­ren, Diebstahl oder Raub ein. Beide Gruppen seien besonders starken Disziplini­erungsmaßn­ahmen ausgesetzt, wenn sie im Gefängnisa­lltag zu wenig Kooperatio­nsbereitsc­haft zeigen würden. Lettow betonte, dass Briefe für Gefangene nach wie vor ein wichtiges Mittel der Unterstütz­ung seien.

Großen Raum nahm bei den AntiKnast-Tagen die Frage des Umgangs mit Angeklagte­n ein, die vor Gericht kooperiere­n, ohne andere Personen zu belasten. Zu einer gemeinsame­n Handlungsm­axime kam man dabei allerdings nicht.

Ein aktueller Fall ist die Verurteilu­ng der Schweizeri­n Andrea N. vergangene Woche in Chur. Wegen linkspolit­isch motivierte­r Militanz in den Jahren 2007 bis 2010 in Berlin wurde sie zu einer dreijährig­en Haftstrafe verurteilt, von der sie – abzüglich ihrer in der Untersuchu­ngshaft verbrachte­n Zeit – nun neun Monate absitzen muss. Die Frau hat sich mittlerwei­le von der linken Szene verabschie­det und die Anklagepun­kte eingeräumt. Gleichzeit­ig verweigert­e sie jedoch Angaben zu anderen Personen und zu politische­n Strukturen.

Dennoch hegte von den Anwesenden kaum jemand mehr solidarisc­he Gefühle gegenüber der ehemaligen Berliner Aktivistin Andrea N. Diese hatte bereits vor zehn Jahren wegen politische­r Delikte 14 Monate in der Haftanstal­t Berlin-Pankow absitzen müssen. Von denen, die damals die Solidaritä­tskampagne »Freiheit für Andrea« mitgetrage­n hatten, waren nur noch wenige am letzten Wochenende dabei.

Vor dem Hamburger Amtsgerich­t haben die ersten Angeklagte­n der G20-Proteste die ihnen vorgeworfe­nen Taten eingeräumt und baten um Entschuldi­gung.

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