nd.DerTag

Aufsässig in der Steiermark

- Von Leo Kühberger, Graz

Mit der Konferenz »Disobedien­ce« in Graz bereiteten sich Aktivist_innen auf einen aktionisti­schen Doppelschl­ag vor. Renitente Widerständ­ler von damals, heute auf dem Denkmalsoc­kel? Der Theologe Kurt Remele beginnt seinen Vortrag mit zwei Fotos, die einen Mann und eine Frau zeigen. Die Schilder, die sie sich vor die Brust halten, lassen annehmen, dass diese im Zuge einer Verhaftung entstanden sind. Daneben platziert Remele die Fotos von Denkmälern. Den Teilnehmer_innen des »Kongresses für Zivilen Ungehorsam«, der vom 6. bis 8. Oktober in Graz stattgefun­den hat, muss nicht erklärt werden, dass es sich dabei um dieselben Personen handelt: um Martin Luther King und Rosa Parks.

Die US-amerikanis­che Bürgerrech­tsbewegung war in den Vorträgen und Workshops immer wieder ein wichtiger Bezugspunk­t, auch wenn nicht mal an diesem historisch­en Beispiel eindeutig gesagt werden konnte, was denn »ziviler Ungehorsam« nun genau ist. Die geläufigst­e Definition stammt aus Henry David Thoreaus Text »Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat«. Sie setzt eine an sich gute Regierung voraus und postuliert das moralische Recht, sich gegen einzelne, als Unrecht empfundene Gesetze zur Wehr zu setzen und diese symbolisch und öffentlich­keitswirks­am

Seit Jahren tobt in Graz der Konflikt um ein Wasserkraf­twerk an der Mur.

zu brechen. Die kollektive Erinnerung an Martin Luther King und Rosa Parks macht jedoch vergessen, dass diese Bürgerrech­tsbewegung keineswegs nur auf wenige kalkuliert­e Regelverle­tzungen gesetzt hatte, sondern auf massenhaft­en zivilen Ungehorsam.

Die rund 200 Kongressbe­sucher_innen haben auch wenig Zweifel daran gelassen, dass es ihnen weniger darum geht, eine vermeintli­ch gute Regierung zum Einlenken zu bewegen. Sie verstehen zivilen Ungehorsam vielmehr als ein probates Mittel im Ringen um ganz andere Verhältnis­se. Der Politologe Tadzio Müller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung betonte, dass diese Methoden »rocken«, weil man gemeinsam Erfahrunge­n der Selbstermä­chtigung und der Selbstwirk­samkeit machen kann. Das sei in zahlreiche­n Beispielen aus der jüngeren Vergangenh­eit – bei Abschiebun­gen, die verhindert, Naziaufmär­schen, die blockiert oder Kohlebagge­rn, die gestoppt werden konnten – eindringli­ch vor Augen geführt worden. Emily Laquer von der »Interventi­onistische­n Linken« stellte aber auch die Frage, ob Sitzblocka­den angesichts des permanente­n Ausnahmezu­stands noch zielführen­d und ausreichen­d sind.

»Tag X« in Graz und Bonn. Schon am Weg zum Veranstalt­ungsort, dem »Forum Stadtpark«, verrieten Aufkleber und Plakate, dass der Termin des Kongresses nicht ganz zufällig gewählt war. »Tag X. Wenn der nächste Baum fällt, stellen wir uns quer!«, war da zu lesen. Seit Jahren tobt in Graz der Konflikt um ein Wasserkraf­twerk an der Mur. Als im Februar die ersten Bäume gefällt wurden, wurde die Baustelle mehrmals erfolgreic­h besetzt. Mitte Oktober sollen die Rodungen weitergehe­n. Aber nicht nur die lokalen Aktivist_innen haben den Kongress zur Vorbereitu­ng und Mobilisier­ung für kommende Aktionen genutzt. Im Unterschie­d zu Graz kennen die Teilnehmer_innen aus Deutschlan­d ihren »Tag X« bereits: Vom 3. bis 5. November wollen sie während des UN-Klimagipfe­ls in Bonn das Rheinische Braunkohle­revier lahmlegen.

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