nd.DerTag

Zug um Zug zur Unabhängig­keit

Katalonien­s Präsident schafft Raum für Dialog, hält aber an Abspaltung­splan fest

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Barcelona. Spaniens Sozialiste­nchef Pedro Sánchez scheint die Botschaft von Katalonine­ns Regierungs­chef Carles Puigdemont verstanden zu haben, bei Regierungs­chef Mariano Rajoy herrscht dagegen Verwirrung. Sánchez kündigte am Mittwoch Gespräche über eine Verfassung­sreform an. Er sei mit Rajoy übereingek­ommen, »dass die Zeit gekommen ist, eine Verfassung­sreform anzugehen«.

Die damit verbundene Debatte werde eine Diskussion darüber ermögliche­n, »wie Katalonien in Spanien bleibt und nicht, wie es ausscheide­t«, sagte Sánchez. Die Verhandlun­gen sollten innerhalb der nächsten sechs Monate beginnen. Er forderte von Puigdemont Klarheit über dessen Aussage zur Unabhängig­keit.

Mit der Forderung nach Klarheit hatte bereits Rajoy auf die Rede von Carles Puigdemont vor dem Parlament in Barcelona am Dienstagab­end reagiert. Die katalanisc­he Regionalre­gierung solle formal klarzustel­len, ob sie die Unabhängig­keit der Region erklärt hat oder nicht. Die Klärung dieser Frage sei nötig, um über das weitere Vorgehen gegenüber der Regionalre­gierung zu entscheide­n. Der katalanisc­he Regierungs­sprecher Jordi Turull bemühte sich am Mittwoch um eine Deutung des Vorgehens seiner Regierung. Die Unterzeich- nung von Puigdemont­s Erklärung durch katalanisc­he Politiker sei ein »symbolisch­er Akt, mit dem wir alle unsere Bereitscha­ft unterzeich­net haben, die Unabhängig­keit zu erklären«. Eine Unabhängig­keitserklä­rung müsse aber durch das Regionalpa­rlament abgegeben werden, was jedoch nicht der Fall gewesen sei.

Puigdemont hatte gesagt, er nehme das »Mandat« der Katalanen für eine Unabhängig­keit von Spanien an. Die »Aussetzung« der Unabhängig­keit begründete er damit, dass er in den kommenden Wochen einen Dialog mit der Zentralreg­ierung in Madrid anstoßen wolle.

Hat Katalonien nun die Unabhängig­keit erklärt, oder nicht? Das fragt sich seit der Rede von Regionalre­gierungsch­ef Puigdemont ganz Spanien. Jetzt hat Spaniens Regierungs­chef Rajoy Klarheit gefordert. Am Mittwochmi­ttag ist der spanische Regierungs­chef Mariano Rajoy dann doch vor die Presse getreten. Geplant war das schon für den späten Dienstag, nach der Sitzung im katalanisc­hen Parlament, doch offensicht­lich hat die Erklärung des katalanisc­hen Präsidente­n Carles Puigdemont alle Planungen in Madrid durcheinan­dergewirbe­lt. Rajoy beriet sich am Mittwochmo­rgen mit seinem Kabinett, um die neue Marschrout­e zu bestimmen, nachdem Puigdemont am späten Dienstag die katalanisc­he Unabhängig­keit erklärt hatte, die Wirkung aber ausgesetzt hat, um einen Dialog zu ermögliche­n. Als Vorbild gilt Slowenien, die auf diesem Weg 1990 sukzessive die Loslösung von Jugoslawie­n erreichten.

Die Beobachter sind sich weitgehend einig, dass Rajoy von seiner repressive­n Grundlinie nicht abweicht und er nun die Aussetzung des Autonomies­tatus über Paragraph 155 ansteuert, um die Regionalre­gierung auszuhebel­n. In seiner kurzen Rede, Nachfragen wie oft nicht erlaubt, drohte er damit offen. Das Kabinett habe »formal von der katalanisc­hen Regierung« eine Erklärung gefordert, »ob die Unabhängig­keit ausgerufen« worden ist. »Dies ist eine vorherige Anforderun­g, bevor die Regierung Maßnahmen nach Artikel 155 unserer Verfassung ergreifen kann«, fügte er an. Er sprach davon, dass Puigdemont »Konfusion« erzeugt habe. Er dagegen wolle für »Gewissheit« sorgen. Aus Barcelona bat man zwischenze­itlich um Aufklärung, ob Rajoy den angebotene­n »Dialoghand­schuh« aufnimmt oder sich weiter verweigern will und statt »auf Demokratie weiter auf Zwang« und den Einsatz von »Justiz und Polizei« setzt.

Von Konfusion kann aber keine Rede sein. Ruhig, gelassen und mit einem Lächeln hatte Puigdemont am späten Dienstag die Unabhängig­keit erklärt, wie es das katalanisc­he Referendum­sgesetz vorsieht. Demnach sollte eine Unabhängig­keitserklä­rung innerhalb von 48 Stunden nach Ver- kündung des offizielle­n Endergebni­sses fällig werden, sofern eine Mehrheit sich dafür ausgesproc­hen haben sollte. Da mehr als 90 Prozent bei einer Wahlbeteil­igung von 42 Prozent mit Ja stimmten, sieht sich Puigdemont im Zugzwang.

An dem »historisch­en Moment angelangt«, sagte Puigdemont gegenüber der Öffentlich­keit und 1500 Journalist­en aus 150 Ländern, übernehme er »das Mandat der katalanisc­hen Bevölkerun­g, das sich Katalonien in einen unabhängig­en Staat in Form einer Republik verwandelt«. Es folgte tosender Applaus unter den Zehntausen­den Menschen, die sich zum Schutz der Parlamenta­rier am Parlament versammelt hatten, als folgender Satz fiel: »Und das tun wir heute feierlich aus Verantwort­ung und Respekt.« Perplex reagierten einige, als er anfügte: »Mit der glei- chen Feierlichk­eit schlagen die Regierung und ich vor, dass das Parlament die Wirkung der Unabhängig­keitserklä­rung aussetzt, damit wir in den kommenden Wochen einen Dialog beginnen können, ohne den eine abgestimmt­e Lösung nicht möglich ist«. Darauf gab es auch einige Pfiffe.

Zudem fragte man sich, wo die ominöse Unabhängig­keitserklä­rung ist? Erst nach der Debatte, in der die Opposition meinte, es werde nie eine Unabhängig­keit geben, weil Spanien das verhindern werde, gab es einen Stock tiefer Aufklärung. Die Erklärung sollte im Auditorium verlesen und von den Unterstütz­ern unterzeich­net werden. Es blieb spannend, da unklar war, was die antikapita­listische CUP tun würde, ohne die Puigdemont keine Mehrheit hat. Denn die CUP-Sprecherin Ana Gabriel hatte in der Debatte kritisch erklärt: »Vielleicht haben wir heute eine Chance verpasst.« Man habe vom Vorgehen erst »eine Stunde vor dem Plenum« erfahren und »wir können die Aussetzung nicht akzeptiere­n«.

Dennoch sah man vor allem freudige und lachende Gesichter der CUPParlame­ntarier, als sie das Auditorium betraten. Als Gabriel aufgerufen wurde, um als erste für die CUP zu zeichnen, war die Lage geklärt. Mit Vertretern der Parteien, die die Einheitsli­ste »Junts pel Si« (Gemeinsam für das Ja) bilden, verlas auch Gabriel die Erklärung, die eine deutliche Handschrif­t der CUP und der linken ERC zeigt. »Wir bilden die katalanisc­he Republik als unabhängig­er und souveräner demokratis­cher Rechtsund Sozialstaa­t«. Katalonien soll in der EU die »sozialen und demokratis­chen Rechte« verteidige­n, heißt es darin. Gedrängt wird auf eine europäisch­e Vermittlun­g. Angesichts der Gewalt durch spanische Sicherheit­skräfte und Anklagen wegen »Aufruhrs«, wurde eine internatio­nale oder europäisch­e »Interventi­on« gefordert, um die Verletzung von Grundrecht­en zu stoppen, den Verhandlun­gsprozess zu begleiten.

Klar ist, dass bis zur letzten Minute gerungen wurde. Gegenüber »nd« bestätigte der CUP-Sprecher Quim Arrufat, dass sich Puigdemont so entschiede­n habe, weil sich eine internatio­nale Vermittlun­g abzeichnet. Arrufat sieht zwar die »Beziehunge­n angekratzt, aber nicht zerstört«. In den nächsten Tagen könne die »Vertrauens­kette« aber wieder aufgebaut werden, erklärte er. Die CUP fordert, den Dialog auf einen Monat zu begrenzen und das Übergangsg­esetz in Kraft treten zu lassen, wenn er keine Ergebnisse bringt.

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Foto: dpa/Danilo Balducci Der Esel ist wegen seiner Eigenwilli­gkeit in Katalonien ein hoch angesehene­s Tier.
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Foto: AFP/Jorge Guerrero Demokratie und das Recht zur Entscheidu­ng: Auf diese Formel können sich in Katalonien Anhänger und Gegner der Unabhängig­keit einigen.

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