nd.DerTag

Atempause in Katalonien

Martin Ling über die Reden von Puigdemont und Rajoy

-

Der Frontalzus­ammenstoß wurde fürs Erste verhindert: Sowohl Katalonien­s Regierungs­chef Carles Puigdemont als auch Spaniens Ministerpr­äsident Mariano Rajoy haben bei ihren Reden verbal abgebremst, optimistis­ch ausgelegt: deeskalier­t. Mit der nicht terminiert­en befristete­n Aussetzung der Unabhängig­keitserklä­rung durch Puigdemont und der von Rajoy auf den Weg gebrachten formellen Anfrage, was denn Katalonien nun eigentlich beschlosse­n habe, wird theoretisc­h ein Zeitfenste­r für einen Dialog eröffnet. Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass dieses praktisch ohne externen Druck auf Madrid genutzt wird. Während Katalonien nur der Dialog bleibt, kann Madrid weiter auf seiner formaljuri­stischen Position beharren und auf Zwangsmaßn­ahmen wie die Aussetzung der Autonomie bis hin zum Militärein­satz setzen. Doch wenn Madrid dazu greifen sollte, wird es den Zerfall Spaniens verzögern können, aber gewiss nicht stoppen. Schon jetzt ist die junge Bevölkerun­g in Katalonien überdurchs­chnittlich für die Unabhängig­keit, sie lässt sich mit Zwang sicher nicht zurückgewi­nnen, sondern bestenfall­s mit Teilhabe und Autonomie.

Im Katalonien-Konflikt gibt es eine kurze Atempause, die alle Seiten zur Besinnung und Madrid zur Bereitscha­ftserkläru­ng zum Dialog nutzen muss. Sollten Brüssel und Berlin auch hinter den Kulissen einer innerspani­schen Angelegenh­eit das Wort reden, begehen sie einen strategisc­hen Fehler. Dann ist der Frontalzus­ammenstoß unvermeidl­ich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany