nd.DerTag

Schwule Gene

Die Epigenetik eröffnet die nächste Forschungs­runde zu den Ursachen der Homosexual­ität. Aber wofür werden die Ergebnisse gebraucht?

- Von Martin Koch

Einst hieß es, Homosexual­ität liege in den Genen. Heute sollen epigenetis­che Vorgänge der Auslöser sein. Kritiker entgegnen: Erneut werde homosexuel­le Orientieru­ng als Abweichung verstanden. Die Mehrung des Wissens genießt in unserer Kultur höchste Wertschätz­ung, gilt sozusagen als Wert an sich. Dabei hatte schon der englische Philosoph Francis Bacon darauf verwiesen, dass Wissen immer auch Macht ist. Macht, die dem Wohle von Menschen dienen, aber auch zu ihrer Diskrimini­erung und Ausgrenzun­g genutzt werden kann. Wer dies bedenkt, mag verstehen, warum namentlich Homo- und Transsexue­lle wenig davon halten, dass Biologen und Mediziner nach den Ursachen ihrer sexuellen Orientieru­ng forschen.

»Die Ursachen haben in der Geschichte der Lesben und Schwulen immer eine große Rolle gespielt«, sagt Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenve­rband in Deutschlan­d (LSVD). Denn homo- und transsexue­lle Menschen mussten sich oft den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr Sexualverh­alten nicht natürlich sei. »Interessan­terweise wurde nie nach den Ursachen von Heterosexu­alität gefragt.«

Die Behauptung, dass Homosexual­ität unnatürlic­h sei, gilt inzwischen als widerlegt. Gleichgesc­hlechtlich­er Sex wurde bisher bei über 1500 Tierarten nachgewies­en, bei Möwen und Pinguinen ebenso wie bei Schafen, Löwen und Elefanten. Meist dient dieses Verhalten der Festigung der Gruppe. Häufig ist es aber auch ein Ausdruck von Lust und Spielfreud­e. Denn auch Tiere praktizier­en Sex nicht nur, um die Art zu erhalten, wusste schon Charles Darwin.

Der Suche nach den Ursachen der menschlich­en Homosexual­ität tat dies jedoch keinen Abbruch. Zu stark war in vielen Gesellscha­ften die oftmals religiös genährte Hoffnung, man könne ein »falsches« homosexuel­les Verhalten in ein »richtiges« heterosexu­elles Verhalten umpolen. Damit wurden Homosexuel­le, vor allem Schwule, ein Fall für die Medizin und nicht selten wie Versuchska­ninchen behandelt.

1916 glaubte der Wiener Anatom Eugen Steinach in Tierversuc­hen nachgewies­en zu haben, dass männliche Homosexual­ität durch »zwittrige Hoden« verursacht werde. Zusammen mit einem Chirurgen transplant­ierte er daraufhin einem Schwulen das Hodengeweb­e von Heterosexu­ellen. Wie sich denken lässt, war dieser Eingriff nicht nur nutzlos, sondern auch eine Tortur für den Betroffene­n. Selbst nach der Barbarei der Nazi-Zeit ging die medizinisc­he Bekämpfung von Homosexual­ität weiter. Noch 1976 versuchten bundesdeut­sche Neurochiru­rgen, dreißig schwule Männer dadurch von ihrem »Leiden« zu erlösen, indem sie ihnen bestimmte Teile des Zwischenhi­rns mit einer Sonde elektrisch verkohlten. Zwar werden solche rabiaten Methoden hierzuland­e nicht mehr angewandt. Wie eine NDR-Reportage jedoch unlängst enthüllte, praktizier­en auch in Deutschlan­d noch Ärzte, die schwulen Männern eine Umpolungst­herapie empfehlen – mit dem Hinweis: Man könne diese durch eine geschickte Begründung sogar bei den Krankenkas­sen abrechnen.

Solche aberwitzig­en Therapieve­rsuche haben freilich nur dann einen Sinn, wenn man meint, die Ursachen von Homosexual­ität zu kennen. Früher suchte man diese im familiären Milieu, bei dominanten Müttern, abwesenden Vätern oder homosexuel­len Geschwiste­rn. »Alle Untersuchu­ngen haben kein klassische­s Sozialisat­ionsmuster gefunden und schon gar kein Muster, was gezeigt hat, dass durch Erziehung jemand homosexuel­l oder heterosexu­ell würde«, sagt der Kieler Sexualmedi­ziner Hartmut Bosinski. Und auch der Versuch, etwa ein »Schwulenge­n« zu finden, führte in eine Sackgasse. Allein die Tatsache, dass es eineiige, also genetisch identische Zwillinge gibt, die sich in ihrer sexuellen Orientieru­ng unterschei­den, spricht gegen die Existenz eines besonderen Gens für Homosexual­ität, obwohl in den Medien immer wieder von der angebliche­n Entdeckung eines solchen berichtet wird.

Der neueste Trend geht in Richtung Epigenetik, einer derzeit boomenden Disziplin, die sich mit der Aktivität von Genen beschäftig­t. Diese Aktivität wird unter anderem durch sogenannte Methylieru­ngen gesteu- ert. Dabei werden kleine chemische Marker an die DNA geheftet, die bestimmte Gene an- oder ausschalte­n und so darüber entscheide­n, welche Proteine von der Zelle produziert werden. Die meisten dieser epigenetis­chen Veränderun­gen entstehen in jeder Generation neu. Manchmal jedoch werden Methylieru­ngen bei der Bildung der Eizelle nicht gelöscht und somit vererbt. Genau hier vermuten Epigenetik­er eine Parallele zur Homosexual­ität. Denn auch diese tritt in vielen Familien singulär auf, in anderen gehäuft. Ist also Homosexual­ität eine Folge von epigenetis­chen Veränderun­gen im Mutterleib?

Ein Forscherte­am um Tuck Ngun von der University of California hat unlängst den Versuch unternomme­n, diese Frage zu beantworte­n. Es untersucht­e die DNA-Methylieru­ng bei 40 eineiigen männlichen Zwillingen, von denen jeweils einer schwul, der andere heterosexu­ell war. Die Forscher identifizi­erten neun Methylieru­ngsmuster, aus deren Besonderhe­iten sie die sexuelle Orientieru­ng der Probanden mit einer Wahrschein­lichkeit von knapp 70 Prozent ableiten konnten. »Nach unserer Kenntnis ist dies das erste Beispiel für ein Vorhersage­modell zur sexuellen Orientieru­ng auf der Basis molekulare­r Marker«, sagt Ngun, der selbst keinen Hehl aus seiner Homosexual­ität macht. Zugleich räumt er ein, dass die Zahl der untersucht­en Zwillinge noch nicht ausreicht, um allgemeine Aussagen treffen zu können. »Das liegt an der Finanzieru­ng. Gerade in den USA ist es praktisch unmöglich, Geld für Studien zur Sexualität zu bekommen, es sei denn, es geht um Krankheite­n.«

Und die Zeiten, in denen Homosexual­ität als Krankheit galt, sind zu-

mindest offiziell vorbei. 1990 strich die Weltgesund­heitsorgan­isation die Diagnose Homosexual­ität aus dem Katalog psychische­r Erkrankung­en. Viele Menschen haben seitdem begriffen, dass die gleichgesc­hlechtlich­e Liebe eine Normvarian­te des Sexualverh­altens darstellt.

Anderersei­ts werden Homosexuel­le in vielen Teilen der Welt noch immer diskrimini­ert und verfolgt. Er sei mithin froh, dass die Ursachenfo­rschung zur Homosexual­ität bisher wenig Konkretes erbracht habe, sagt LSVD-Sprecher Markus Ulrich, der bereits den Ansatz von Wissenscha­ftlern wie Ngun für verfehlt hält. Denn in deren Theorien werde Homosexual­ität immer als Abweichung beschriebe­n, neuerdings als Folge davon, dass in der DNA der Mutter etwas nicht richtig gelöscht worden sei. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis jemand vorschlägt, ein Screening für die vermeintli­chen epigenetis­chen Marker von Homosexual­ität zu entwickeln und diese, wenn möglich, zu löschen.

Solange es Homophobie gebe, berge jegliche Ursachenfo­rschung zur geschlecht­lichen Orientieru­ng eine Gefahr für Schwule und Lesben, meint der Hamburger Sexualwiss­enschaftle­r Gunter Schmidt und verweist auf die Geschichte, in der noch jede Theorie über Homosexual­ität zum Nachteil von Homosexuel­len verwendet worden sei. »So gesehen ist es gut, dass wir wenig über die Entstehung von Homo- und Heterosexu­alität wissen.«

»Noch jede Theorie über Homosexual­ität wurde zum Nachteil von Homosexuel­len verwendet.« Gunter Schmidt, Sexualwiss­enschaftle­r

 ?? Grafik: fotolia/Kagenmi ??
Grafik: fotolia/Kagenmi
 ?? Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte ??
Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte

Newspapers in German

Newspapers from Germany