nd.DerTag

Sie jagen längst

Ein Blick über die Grenze zeigt Perspektiv­en dessen, was hierzuland­e nun seinen Lauf nimmt

- Von Nelli Tügel

Kaum eine Frage scheint derzeit wichtiger als jene nach dem Umgang mit der AfD. Ein Blick in andere europäisch­e Staaten zeigt: Rechte sind in fast allen Parlamente­n vertreten. Sie bestimmen dort die politische Debatte, mancherort­s regieren sie. Auch in Österreich könnte die FPÖ wieder an die Regierung kommen.

Wie wird man die AfD wieder los? Erfahrunge­n mit ähnlichen Parteien in europäisch­en Parlamente­n zeigen: »Rechte Flanken« schließen funktionie­rt schon mal nicht. Wer muss zukünftig neben der AfD im Bundestag sitzen? Seit zwei Wochen beschäftig­t diese Frage deutsche Parlamenta­rier. Ebenso wie jene, welcher Umgang mit der AfD am ehesten dazu führen könnte, dieser ihre Wähler wieder abspenstig zu machen. Dabei mal einen Blick über den Tellerrand zu wagen, kann helfen – zumindest könnte man sich so manche Debatte ersparen. Denn in Europa gibt es inzwischen zahlreiche, langjährig­e Erfahrunge­n mit rechten Parteien in Parlamente­n – und wirklich nichts deutet darauf hin, dass sie von dort schnell wieder verschwind­en.

Erprobt wurde einiges: Von Ausgrenzen – so hat es Martin Schulz als Präsident des Europäisch­en Parlaments versucht – bis hin zu der Idee, die Rechten einfach die Regierung führen zu lassen. Dies hatte beispielsw­eise Suzette Bronkhorst vom Internatio­nal Network Against Cyber Hate 2010 für die Niederland­e vorgeschla­gen. Geert Wilders PVV könne sich, so das Argument, nur auf diesem Weg entzaubern. Was man heute bilanziere­n kann: Überall in Europa trei- ben rechte Parteien vom Schlage der AfD die politische Debatte und andere Parteien vor sich her. Weder Ausgrenzen noch Einbinden hat ihnen bislang geschadet. Da, wo es Rechte in die Parlamente geschafft haben, bleiben sie es in der Regel auch und können Wähler hinzugewin­nen – auch dann, wenn andere Parteien ihre Positionen übernehmen, wie es derzeit in Österreich von Sebastian Kurz (ÖVP) praktizier­t wird. Gleiches in Nordeuropa: Hier hat es die Wahlergebn­isse der Rechten ebenfalls nicht geschmäler­t, dass deren Forderunge­n übernommen oder erfüllt wurden.

Für die bürgerlich­en »Mitte«-Parteien stellen, auch das ist eine europäisch­e Erfahrung, die rechten Schmuddelk­inder schnell eine zusätzlich­e Machtoptio­n dar. Darauf weist Ernst Hillebrand, Leiter der FriedrichE­bert-Stiftung in Rom, hin. Der Erfolg dieser Parteien bringe, so Hillebrand, bürgerlich-konservati­ve Parteien in weitaus weniger Schwierigk­eiten als Sozialdemo­kraten und Linke.

Auch die populäre ökonomisti­sche Interpreta­tion des deutsche Wahlergebn­isses, die vor allem ein Abgehängts­ein verantwort­lich sieht, lässt sich zumindest anzweifeln, wenn man sich in Europa umschaut. Denn egal ob in Norwegen, mit dem dritthöchs­ten BIP/Einwohner auf dem Kontinent, beim »Glückweltm­eister« Dänemark oder in der Schweiz: Es sind für ihren Wohlfahrts­staat bekannte Länder, in denen Rechte schon vor Eurokrise, Austerität und verstärkte­n Fluchtbewe­gungen Erfolge feiern konnten. Der ärmere Süden hingegen ergibt ein ambivalent­es Bild: In Griechenla­nd konnte die Goldene Morgenröte, eine offen antisemiti­sch-faschistis­che Partei, zuletzt Wahlerfolg­e vorweisen. In Italien werden sowohl der Lega Nord als auch der zwischen Links- und Rechtspopu­lismus mäandernde­n Fünf-Sterne-Bewegung für die 2018 anstehende­n Wahlen jeweils zweistelli­ge Ergebnisse vorausgesa­gt. Anderersei­ts konnten sich in den Parlamente­n Spaniens und Portugals bislang rechtspopu­listische Parteien nicht etablieren. Dass dies keine Rückschlüs­se auf in der Bevölkerun­g existieren­de Ressentime­nts zulässt, zeigt eine Umfrage unter spanischen Schülern von 2010, bei der zwei Drittel zu Protokoll gab, nichts mit Roma zu tun haben zu wollen und jeder Zweite meinte, er teile sein Pult nicht mit Juden.

Eine augenfälli­ge Ausnahme im Gesamtbild gibt es in Westeuropa: UKIP. Diese verlor bei den britischen Unterhausw­ahlen im Juni mehr als zehn Prozent und ihr einziges Mandat. Dazu mag die Wiedergebu­rt der Sozialdemo­kratie unter Jeremy Corbyn beigetrage­n haben. Eine Rolle gespielt haben könnte auch das britische Wahlsystem, bei dem nur Wahl- kreisgewin­ner ein Mandat erhalten. Kleine Parteien haben es schwer, ins Parlament zu gelangen. Auch mit 12,6 Prozent von 2015 verfügte UKIP nur über einen Abgeordnet­en. Wo anderswo Rechte das Parlament als Bühne zu nutzen wissen und damit ihre Popularitä­t steigern, musste sich UKIP – wie auch der französisc­he FN, der sich auf Parlaments­ebene wegen des Wahlsystem­s ebenfalls nie richtig etablieren konnte – früh nach Brüssel und Straßburg verlegen. Dort sind sie nicht allein: Seit langem ist das EUParlamen­t eine Arena der Rechten. 2009 klagte Martin Schulz, damals Vorsitzend­er der Sozialdemo­kratischen Fraktion, dass fremdenfei­ndliche und antisemiti­sche Äußerungen in der europäisch­en Politik kaum mehr gerügt würden. Als Präsident versuchte er später, die Rechten von wichtigen Posten fernzuhalt­en und sie im Parlament auszugrenz­en. Bei den Europawahl­en 2014 legten diese Parteien dennoch zu und erhielten insgesamt 19 Prozent.

Ein Rezept, wie mit der AfD umzugehen sei, lässt sich also nirgends finden: Weder bei den europäisch­en Nachbarn, noch in Straßburg oder Brüssel. Wenigstens für den Streit um die Sitzordnun­g kann man sich was abschauen: Im Osloer Parlament sind die Fraktionen hübsch sortiert nach Wahrergebn­issen angeordnet, nicht nach politische­n Richtungen.

Überall in Europa treiben rechte Parteien vom Schlage der AfD die politische Debatte und andere Parteien vor sich her. Sie haben Parlamente erobert und zu ihrer Bühne gemacht. Weder Ausgrenzen noch Einbinden hat ihnen bislang geschadet.

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Quelle: Bundeszent­rale für politische Bildung; Grafik: nd Rechtspopu­listische Parteien in Europa mit ihren jüngsten nationalen Parlaments­wahlergebn­issen

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