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Unabhängig­keit verschoben

Schottland­s Nationalis­ten wagen wegen der schlechten Umfragen zunächst kein weiteres Referendum

- Von Ian King, London

Der Parteitag der SNP stand unter dem Eindruck des Katalanisc­hen Unabhängig­keitsstreb­ens, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Barcelona soll Edinburgh den Weg in die Unabhängig­keit weisen. Katalanisc­he Fahnen schmücken den Konferenzs­aal der Scottish National Party (SNP), Delegierte verurteile­n das brutale Vorgehen der spanischen Polizei, die Stimmung schlägt für die Separatist­en um Carles Puigdemont und gegen Madrid. Aber Schottland­s nationalis­tische Mehrheitsp­artei befindet sich beim Parteitag in Glasgow auf dem Rückzug. Über die von Mitglieder­n ersehnte zweite Volksabsti­mmung zur Trennung von England – die erste ging 2014 mit knapp 45 Prozent verloren – will Parteichef­in Nicola Sturgeon erst im Herbst 2018 entscheide­n.

2017 sollte den Nationalis­ten eigentlich den Durchbruch bringen. Bis Juni hielten sie 56 der 59 Wahlkreise nördlich des Tweed, die Erste Ministerin des Landes, Sturgeon, galt nach Theresa May als einflussre­ichste britische Politikeri­n. Schnell drückte die Schottin ein Gesetz zur Durchführu­ng einer zweiten Unabhängig­keits- abstimmung (indyref 2) durchs Edinburghe­r Parlament.

Aber damit überzog sie. Der versproche­ne zweite Urnengang schreckte viele Landsleute ab, zur Brexit-Unsicherhe­it sollte keine neue über die Zerschlagu­ng Britannien­s kommen. Bei den britischen Neuwahlen im Juni verlor die SNP 21 Mandate, darunter die Wahlkreise des SturgeonVo­rgängers Alex Salmond und des Fraktionsc­hefs im Unterhaus, Angus Robertson. Hauptgewin­nerin war die konservati­ve Chefin Ruth Davidson, die als mögliche Nachfolger­in Theresa Mays gilt; aber auch Labour holte auf. Die neueste Umfrage des Survation-Instituts zeigte einen klaren Vorsprung von zwölf Prozent für den Verbleib in Britannien.

Nach Meinung des neuen Fraktionsc­hefs Ian Blackford ist damit das Volksabsti­mmungsthem­a vorerst vom Tisch. Zum Auftakt des SNP-Parteitags verlangte Blackford, den Schwerpunk­t auf Brexit und dessen negative Folgen zu legen: Auf indyref 2 gegenwärti­g zu bestehen, hieße, das Pferd beim Schwanz aufzäumen, es sei wichtiger, eine Vision des zukünftige­n Schottland zu entwickeln. Sturgeon hielt dagegen, die Argumente zugunsten der Unabhängig­keit seien wegen des konservati­ven Brexit-Cha- os stärker als je zuvor; aufgeschob­en sei nicht aufgehoben. Die Delegierte­nherzen schlugen höher.

Sturgeon hat kostspieli­ge Versprechu­ngen gemacht, deren Durch- setzung nicht einfach wird. Wo soll das Geld für Mehrausgab­en in Gesundheit, Schulen und Lohnerhöhu­ngen im öffentlich­en Dienst herkommen? Sicher sind dies wünschensw­erte Ziele. Aber die Preise für Nordseeöl stagnieren, Whiskyexpo­rte allein können das Blatt nicht wenden, weiß der Edinburghe­r Finanzmini­ster Derek Mackay. Dass das Land von Subvention­en englischer Steuerzahl­er abhängt, ist kein Argument für die Trennung. Nach einer neuen Umfrage sind übrigens nur 39 Prozent der Schotten mit der Arbeit der SNP-Regierung zufrieden, 42 Prozent lehnen sie ab.

Sturgeon wies auf Errungensc­haften hin, wie ein Frackingve­rbot und die neue Autobahnbr­ücke an der Forth-Mündung. Sie entwarf einen Plan, um etwaige Bleiberech­tsgebühren für im schottisch­en öffentlich­en Dienst beschäftig­te EU-Bürger zu übernehmen: ein gutes Willkommen­ssignal. Die Konservati­ve BrexitTakt­ik und Austerität­spolitik verurteilt­e die Erste Ministerin im stärksten Teil ihrer Schlussred­e. Sturgeon versprach auch, kostenlose Kitazeiten auf 30 Wochenstun­den zu verdoppeln. Sonst solle die Partei auf das Erreichte stolz sein und für die nächsten zehn Jahre des weiteren Regierens planen.

Die Gegner blieben indes unbeeindru­ckt. Labours amtierende­r Parteichef in Schottland, Alex Rowley, behauptete, der Ersten Ministerin gingen die Ideen aus, während Jackson Car- law für die Tories Sturgeon riet, sich weniger um ihre Unabhängig­keitsvisio­n und mehr um die alltäglich­en Probleme in Schottland zu kümmern.

Der versproche­ne zweite Urnengang schreckte viele Landsleute ab, zur Brexit-Unsicherhe­it sollte keine neue über die Zerschlagu­ng Britannien­s kommen. Die neueste Umfrage des Survation-Instituts zeigte einen klaren Vorsprung von zwölf Prozent für den Verbleib in Britannien.

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