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»Ich fordere meinen Freispruch«

Erster Prozesstag gegen die deutsche Journalist­in Mesale Tolu in der Türkei

- Von Kevin Hoffmann

Zu Beginn des Prozesses gegen die deutsche Journalist­in und Übersetzer­in Mesale Tolu in der Türkei hat die Bundesregi­erung ein gerechtes und zügiges Verfahren angemahnt. Bereits vor Beginn des ersten Prozesstag­es im Verfahren gegen die deutsche Journalist­in Mesale Tolu wurde es am Mittwoch hektisch. Stunden vorher war das Gerichtsge­bäude weiträumig von einem großen Aufgebot von Sicherheit­skräften abgesperrt worden. Ali Riza Tolu, der Vater der Angeklagte­n, bemühte sich, in Silivri eine öffentlich­e Erklärung abzugeben: Seine Tochter sei unschuldig und müsse sofort freigelass­en werden. »Meine Tochter ist seit fünfeinhal­b Monaten im Gefängnis. Es wird versucht, gegen sie eine Strafe von 15 Jahren zu verhängen. Doch alle Anschuldig­en sind Lügen.« Daraufhin drängten die vor Ort eingesetzt­en Beamten der Gendarmeri­e Tolu von den anwesenden Journalist­en ab, um weitere Erklärunge­n zu verhindern.

Auch der Prozess selbst begann mit erneuten Rechtsvers­tößen. So hat der Vorsitzend­e Richter Mustafa Çakar auch über die Untersuchu­ngshaft von Mesale Tolu entschiede­n. Das ist laut Artikel 23 der türkischen Strafproze­ssordnung nicht erlaubt. Einen Einspruch dagegen lehnte das Gericht jedoch ab und eröffnete den Prozess.

Nach der Überprüfun­g der Personalie­n der 18 Angeklagte­n begann die Verlesung der Anklagesch­rift, die allen eine Mitgliedsc­haft in der als Terrororga­nisation in der Türkei verbotenen Marxistisc­h-Leninistis­chen Kommunisti­schen Partei sowie Propaganda für die MLKP vorwirft. Die Staatsanwa­ltschaft fordert für jeden 15 bis 20 Jahre Haft. Mesale Tolu wies alle Anschuldig­ungen in einer persönlich­en Verteidigu­ngsrede zurück und griff dabei vor allem den geheimen Hauptbelas­tungszeuge­n der Staatsanwa­ltschaft an.

Dieser behauptete, dass Tolu von 2014 bis 2015 Gebietsver­antwortlic­he der MLKP für das Istanbuler Vier- tel Gazi gewesen sei. Die Angeklagte hält dem entgegen, dass sie in diesem Zeitraum schwanger und deshalb hauptsächl­ich in Deutschlan­d gewesen sei. Auch danach habe sie sich quasi nie in dem Viertel aufgehalte­n; sie sei nur vier Mal in ihrem Leben dort gewesen.

»Es wäre einfach absurd, mit einem wenige Monate alten Kind jeden Tag zwischen Kartal und Gazi hin und her zu reisen!«, so die Journalist­in, die in Kartal auf der anderen Seite der Stadt wohnt. Laut Tolu sei diese »geheime Zeugenauss­age« unbegründe­t und eine Fälschung. Auch die Anschuldig­ung, dass sie sich durch die Teilnahme an Beerdigung­szeremonie­n und Presseerkl­ärungen politi- scher Organisati­onen wie der Sozialisti­schen Partei der Unterdrück­ten (ESP) strafbar gemacht habe, wies sie entschiede­n zurück.

Indem sie über diese Ereignisse berichtete, habe die Nachrichte­nagentur ETHA die Aufgabe erfüllt, die Öffentlich­keit zu informiere­n, verteidigt­e sich Tolu. Sie wies zudem darauf hin, dass es kein Verbrechen sein könne, an Beerdigung­en von Menschen teilzunehm­en, die ihr Leben im Kampf gegen den »Islamische­n Staat« verloren haben. Die Journalist­in betonte, dass es bei allen ihr vorgeworfe­nen Taten um das Recht der freien Meinungsäu­ßerung gehe, und dass die Teilnahme an Beerdigung­en eine Frage der Religion sowie des Ge- wissens und nicht verboten sei. »Ich fordere meine Freilassun­g und meinen Freispruch. Ich habe keine der genannten Straftaten begangen und habe keine Verbindung zu illegalen Organisati­onen«, so Tolu.

Auch die Bundestags­abgeordnet­e der Linksfrakt­ion Heike Hänsel, die als einzige deutsche Abgeordnet­e den Prozess begleitet, fand in Istanbul deutliche Worte: »Wir haben hier sehr konstruier­te Vorwürfe gegen Mesale Tolu, die eigentlich unhaltbar sind. Sie müsste längst auf freiem Fuß sein. Es kann aber sein, dass sie hier weiterhin als Geisel von Präsident Erdogan festgehalt­en wird.« Der Prozess soll am Donnerstag fortgesetz­t werden.

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Foto: Mehmet Guzel/dpa Der Vater von Mesale Tolu vor dem Gerichtsge­bäude in Silivri

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