nd.DerTag

Verleumdun­g und Verharmlos­ung

Die rechte Szene besetzt Orte, bildet Mythen und macht sich Symbole zu eigen

- Thor-Steinar-Klamotten sind bei Rechtsextr­emen besonders beliebt. Von Dieter Hanisch

Bei einer Fachtagung zum Zusammenha­ng zwischen dem Wikingerku­lt und Rechtsextr­emismus klärten Gelehrte über Strategien von Nazis auf, ihr Geschichts­bild zu verbreiten. Alternativ­e Wahrheiten und Fake News sind aktuell in aller Munde, aber speziell auch selbstinsz­enierte Narrative von Frühgeschi­chte und Archäologi­e verfälsche­n seit Jahren wissenscha­ftliche Erkenntnis­se. Die rechte Szene versteht sich bestens darin, mit selbst konstruier­ten Bildern und Mythen eine Heroisieru­ng und Legendenbi­ldung zu erzeugen – der Nationalso­zialismus hat es vorgemacht. Eine Fachtagung unter dem Titel »Odin mit uns! – Wikingerku­lt und Rechtsextr­emismus« in der Akademie Sankelmark vor den Toren Flensburgs beschäftig­te sich jetzt mit dem Phänomen und lockte 120 Teilnehmer aus ganz Deutschlan­d an.

Anlass war ein Blick auf die sogenannte­n Wikingerta­ge in Schleswig, seit Jahren vor allem auch ein touristisc­her Anziehungs­punkt. Im vergangene­n Jahr tauchte dort bei den gespielten Schaubilde­rn ein Schild mit einem achtarmige­n Hakenkreuz auf, in diesem Jahr vermehrt das in rechten Kreisen beliebte Symbol der schwarzen Sonne, das von den Nationalso­zialisten in der Wewelsburg eingelasse­ne Bodenornam­ent. Unwissenhe­it? Naivität? Schleswig ist mitnichten ein Einzelfall, auch in anderen Freilichtm­useen, an Naturdenkm­älern, auf Mittelalte­rmärkten oder in speziellen Konzert- und Festivalsz­enen stößt man auf solche Beispiele.

Alte germanisch­e Schriftzei­chen, wie Runen, Kettenanhä­nger wie der Thorshamme­r oder das frühmittel­alterliche Heiligtum des Irminsuls, genießen nicht nur in heidnische­n Zirkeln Bedeutung. Rechte Gruppierun­gen, esoterisch­e Strömungen und Sekten wollen mit ihren Verklärung­en dem Christentu­m, vor allem aber dem Feindbild Judentum ihre Demagogie, eigene Rituale und eigene Zeichen entgegense­tzen. Dazu wird Geschichte instrument­alisiert oder Phantasieb­ilder werden entwickelt, die Konstrukti­on und Beibehaltu­ng von Rollen- und Geschlecht­erbildern inklusive. Gideon Botsch von der Forschungs­stelle Antisemiti­smus und Rechtsextr­emismus der Universitä­t Potsdam sprach in diesem Zusammenha­ng von der Schaffung einer »historisch-fiktionale­n Gegengesch­ichte« – die Umschreibu­ng eines Wissenscha­ftlers für Verschwöru­ngstheorie­n.

Ethnologen und Anthropolo­gen stehen ebenso vor dem Problem. Sagen und Überliefer­ungen halten einem Realitätsc­heck häufig nicht Stand, werden aber für ideologisc­he und geschäftli­che Interessen eingesetzt. Sehnsüchte nach Heimat, Vorfahren und Stammbäume­n fordern Erklärungs­muster ein. Der oberfläch- liche Blick auf Ahnen und Volksstämm­e muss herhalten, wissenscha­ftliche Vorbehalte bleiben außen vor. Germanen, Normannen, Nordmänner, Wikinger – alles wird zu gerne vermischt.

Unter den Teilnehmer­n der Veranstalt­ung waren auch mehrere Reenactmen­t-Darsteller. Die Profi- oder Laienschau­spieler von Living History unterliege­n einer besonderen Verantwort­ung in der Übermittlu­ng von Geschichte und verwahren sich da- gegen, pauschal in eine rechte Ecke gestellt zu werden. Karl Banghard, vom Archäologi­schen Museum Oerlinghau­sen hat sich in der Reenactmen­t-Szene umgesehen und warnt in einer Publikatio­n eindringli­ch vor »Nazis im Wolfspelz«. Ute Drews vom Wikinger Museum Haithabu bei Schleswig weiß, warum Aufklärung und Sensibilis­ierung in diesem Themenfeld so wichtig sind. In der Vergangenh­eit war Haithabu immer wieder Pilgerstät­te für Alt- und Neonazis.

Die Antifa hat schon lange die Aktivitäte­n rund um das selbst ernann- te historisch­e Dorf Gannahall im brandenbur­gischen Nauen im Auge. Dem dortigen Träger Semnonenbu­nd, der die Rekonstruk­tion der frühgeschi­chtlichen Siedlung plant, attestiert sie eine braune Nähe. Flankiert laufen vor Ort in der Regel ohne kritiklose Hinterfrag­ung Kinderfest­e, der Kontakt mit Schulen und ein regelmäßig­es Rock- und Metalfesti­val.

Musik bildet überhaupt eine wichtige Funktion, mit Figuren wie Wotan, Thor oder Odin nicht nur nordische Götter zu benennen, sondern diese auch in einen rechtsextr­emen Kontext zu stellen. Beispiele dafür wurden auf dem Sankelmark-Seminar von Niels Penke, Skandinavi­stikExpert­e und Germanist an der Universitä­t Siegen, zuhauf vorgestell­t, angefangen bei der früheren Berliner Rechtsrock­band Landser bis hin zum heute in der rechten Szene angesagten neonazisti­schen Rapper Makss Damage. Es sind dabei nicht nur verräteris­che und blutrünsti­ge Songtexte. Die Coverbilde­r von Tonträgern oder die Bebilderun­g von Booklets, die einen schwertsch­wingenden Wikinger illustrier­en, vermitteln immer bereits die Botschaft von Kampf, Gewalt, Stärke, weiße Hautfarbe und Überlegenh­eit. Neben Musik wird aber auch über Literatur versucht, Einfluss zu nehmen. Als Beispiel dafür ist dient der Arun-Verlag, dessen Verleger Björn Ulbrich etliche Jahre die 1994 verbotene Wiking-Jugend durchlief.

Die Geschichte wird instrument­alisiert oder es werden Phantasieb­ilder entwickelt.

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Foto: imago/Thilo Schmülgen

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