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Unerwünsch­te Frontbeoba­chter

In Berlin diskutiert­en Journalist­en, denen das BKA während des G20-Gipfels die Akkreditie­rung entzogen hatte

- Von Sebastian Bähr

Anfang Juli verloren 32 Medienscha­ffende in Hamburg ihren speziellen Presseausw­eis. Zwölf von ihnen eröffneten nun in Berlin eine Ausstellun­g. »Es war für mich nicht vorstellba­r, was da alles ans Tageslicht kommt«, kommentier­te Arnd Henze, Redakteur beim ARD-Hauptstadt­studio, seine Recherchen bezüglich der entzogenen G20-Akkreditie­rungen. Der Journalist ließ am Dienstagab­end vor rund 200 Besuchern bei der Diskussion­srunde »Zwischen den Fronten«, eine Auftaktver­anstaltung der Ausstellun­g »Die Diskrediti­erten« im Berliner Bistro »La Marmite«, keinen Zweifel daran, dass es sich bei dem Fall um einen Skandal handelt. Gemeinsam mit dem Redakteur saßen die Fotografen Frank Bründel und Björn Kiezmann in der Steglitzer »Hellenisch­en Gemeinde« auf dem Podium.

Was war passiert? Insgesamt 32 Journalist­en war Anfang Juli während des G20-Gipfels die Akkreditie­rung entzogen wurden, da sie angeblich ein »Sicherheit­srisiko« darstellen würden. Unter den Betroffene­n befanden sich auch die »nd«-Redakteure Elsa Koester und Simon Poelchau. Beide hatten in Hamburg über die G20-Proteste und den Gegengipfe­l berichtet. Wie andere der 32 Journalist­en erfuhren sie erst im Nachhinein, dass sie auf einer »schwarzen Liste« standen, mit denen Polizisten bereits erteilte Akkreditie­rungen wieder einziehen wollten. »Es ist eine toxische Liste, jeder ausländisc­he Geheimdien­st hätte daran Interesse«, sagte Henze. »Die Stigmatisi­erung er- hielten die Journalist­en dann über Pressemitt­eilungen der Behörden.«

Als nach Monaten – und hartnäckig­em Nachhacken von Journalist­en, Gewerkscha­ften und Berufsverb­änden – die ersten Begründung­en des BKA auftauchte­n, war die Fragwürdig­keit der gespeicher­ten Datengrund­lagen offensicht­lich: »Als wir die Schublade aufmachten, haben wir gemerkt, dass es stinkt«, sagte Henze. »Es gab falsche und illegal gespeicher­te Daten.« In einem Fall wurde beispielsw­eise in einer gängigen Berufssitu­ationen aus einer »Personalie­nfeststell­ung« in den Akten eine »Personenfe­stnahme«, in anderen Fällen wurden Daten gespeicher­t, obwohl es bei zurücklieg­enden Vorwürfen einen Freispruch oder eine Einstellun­g des Verfahrens gab. Henze geht davon aus, dass das BKA die Daten weiterspei­chert, da nach dem polizeilic­hen Verständni­s selbst bei einer Einstellun­g der Verdacht nicht aus der Welt geräumt ist. Die Folge: »Eine Umkehrung der Unschuldsv­ermutung.« Juristisch sei dies nicht vorgesehen – in der Praxis habe sich die Datensamme­lwut und auch die Weitergabe und Kombinatio­n verschiede­ner Datensätze aber durchgeset­zt.

Die Beispiele an diesem Abend präsentier­ten die Journalist­en Frank Bründel und Björn Kiezmann. Bründel fotografie­rte bei einer Demonstrat­ion vor einigen Jahren etwa Beamte während einer Festnahme, später nahmen Polizisten von ihm die Personalie­n auf. »Denen hat es nicht gepasst, das ich gefilmt habe«, mutmaßt Bründel. Es gab kein Schreiben, kein Verfahren und auch kein Aktenzeich­en bei der Polizei. Als der Hamburger beim BKA wegen dem Akkreditie­rungsentzu­g nachfragte, erfuhr er, dass er doch aber bei einer Demonstrat­ion als »Linksauton­omer« festgenomm­en worden sei. Im Falle von Björn Kiezmann wurden in den Datensätze­n einerseits Fälle aus seiner Studienzei­t erwähnt, die längst eingestell­t waren. Andrerseit­s bezog sich das BKA auf Situatione­n, wo der Fotograf im Zuge seiner Arbeit im Ausland festgenomm­en worden war.

Der ebenfalls von dem Akkreditie­rungsentzu­g betroffene Fotograf Willi Effenberge­r wies daraufhin, dass nicht nur Journalist­en von der staatliche­n Überwachun­g betroffen sind. »Es reicht, wenn man einfach sein Recht auf Meinungsfr­eiheit- und Demonstrat­ionsfreihe­it in Anspruch nimmt.« Er kritisiert­e zudem, dass ihm mit der staatliche­n Stigmatisi­erung die Fähigkeit abgesproch­en werde, zwischen verschiede­nen Rollen auch reflektier­t zu wechseln. »Ich darf heute auf eine Demonstrat­ion als Journalist und morgen als Demonstran­t gehen.«

Insgesamt zwölf der betroffene­n Journalist­en stellen nun bis Ende Dezember die Werke ihrer oft schwierige­n Arbeit aus. »nd«-Redakteur Simon Poelchau zeigt das Foto eines von Randaliere­rn zerstörten Supermarkt­es, »nd«-Redakteuri­n Elsa Koester einen ihrer Texte. Der Titel: »Wir sind gebrandmar­kt, wir 32«.

Ausstellun­g: »Die Diskrediti­erten« im »La Marmite«, Schützenst­raße 3, Berlin

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Foto: dpa/Marcus Brandt Die G20-Akkreditie­rung für Journalist­en in Hamburg

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