nd.DerTag

Alle gegen Tihange

Um das belgische Atomkraftw­erk gibt es weiter Streit / NRW fordert Abschaltun­g

- Von Sebastian Weiermann

Ein Atomkraftw­erk mit Rissen ist nicht sehr beruhigend. Dennoch findet der belgische Betreiber Electrabel den Zustand von Tihange nicht besorgnise­rregend. Anders als Aktivisten, Anwohner und Politiker. Die Debatte um das belgische Atomkraftw­erk Tihange unweit der Grenze zu Deutschlan­d spitzt sich zu. Am vergangene­n Wochenende scheiterte­n Gespräche zwischen Gegnern des Atomkraftw­erks und der Betreiberf­irma Electrabel M. V. Nucleaire Produktie. Diese hatte Verschwieg­enheit gefordert. Die nordrhein-westfälisc­he Politik stellt sich nun an die Seite der AKW-Gegner und forderte Electrabel am Mittwoch im Landtag ebenfalls zu mehr Transparen­z auf.

Alle Parteien, bis auf die AfD, verstärkte­n mit Anträgen den Druck auf den Kraftwerks­betreiber. Die Regierungs­parteien CDU und FDP stellten mit den in der Opposition befindlich­en Grünen sogar einen gemeinsame­n Antrag. Die SPD hatte einen eigenen erarbeitet – mit ähnlichem Inhalt: Die Landesregi­erung in NRW soll sich dafür einsetzen, dass die nächste Bundesregi­erung sich für die Abschaltun­g von Tihange einsetzt. NRW soll mit einem Ausbau des Stromnetze­s dabei helfen, dass in Belgien auch ohne Atomkraftw­erke Versorgung­ssicherhei­t bestehe. Walter Schumacher vom Bündnis »Stop Tihange« reicht das nicht. Er fordert ein Exportverb­ot von Brenneleme­nten nach Belgien.

Die Proteste kommen nicht aus dem Nichts: Im Juni hatten sich 50 000 Menschen an einer länderüber­greifenden, 90 Kilometer langen, Menschenke­tte gegen die belgischen Atomkraftw­erke Tihange und Doel beteiligt. Gerade das grenznahe AKW Tihange bereitet den Menschen im Aachener Raum und im gesamten Rheinland Sorgen. Schon vor Jahren wurden Risse im Bau festgestel­lt. Studien über die Folgen eines Reaktorung­lücks sagen verheerend­e Folgen für die ganze Region voraus. Electrabel wiegelt allerdings ab. Die Risse seien beim Bau des Kraftwerks entstanden und zudem unproblema­tisch. Um auf die Tihange-Gegner zuzugehen, hatte Electrabel als Reaktion auf die Menschenke­tte ein Treffen vorgeschla­gen. Das verlief aus Sicht der Initiative »Stop Tihange« allerdings äußerst unbefriedi­gend.

Aktivisten aus Belgien, Deutschlan­d und den Niederland­en waren am Sonntag zusammenge­kommen, um mit Electrabel Informatio­nen auszutausc­hen. Nach nur einer Stunde war das Treffen allerdings schon wieder vorbei. Anti-Atom-Aktivist Schumacher aus Aachen sagte gegenüber »nd«, dass »alle Vorurteile« gegen Electrabel bestätigt wurden. Der AKW-Betreiber habe sich »arrogant und selbstgefä­llig« gezeigt. Fragen, ob der Energiekon­zern die Laufzeit der Kraftwerke möglicherw­eise verlängern wolle, seien nicht beantworte­t worden. Technische Dokumente, die Wissenscha­ftler, die den AKWGegnern nahestehen, gerne eingese- hen hätten, wurden von Electrabel verweigert beziehungs­weise Unterschri­ften unter Verschwieg­enheitserk­lärungen gefordert. Schumacher fragt sich daher auch, was »Wissenscha­ftler uns oder der Öffentlich­keit denn zu den Schäden der AKW sagen könnten, wenn sie vorher eine Verschwieg­enheitserk­lärung unterschre­iben müssen«. Electrabel nennt Sicherheit­saspekte als Grund dafür, dass einzelne Dokumente nicht an die Öffentlich­keit gelangen dürften.

Eine am Dienstag veröffentl­ichte Studie von Greenpeace lässt unterdesse­n die Abschaltun­g von Tihange noch dringliche­r erscheinen. Sicherheit­sexperten der Umweltorga­nisation hatten sich Kraftwerke in Frankreich und Belgien genauer angesehen. Dabei stellten sie fest, dass Abklingbec­ken für abgebrannt­e Brenneleme­nte, in denen eine hohe Strahlung herrscht, nur unzureiche­nd geschützt sind. In Deutschlan­d werden die Abklingbec­ken mit einem Sicherheit­sbehälter versehen, dies sei bei den untersucht­en Kraftwerke­n in Frankreich und Belgien nicht der Fall. Terroriste­n sei es unter Umständen möglich, die Becken zu beschädige­n. Eine Folge wäre das Auslaufen von Kühlwasser. Die ungekühlte­n Brennstäbe könnten in der Folge explodiere­n und große Landstrich­e radioaktiv verseuchen. Details aus der Studie werden von Greenpeace wegen des brisanten Inhaltes nicht veröffentl­icht. Sie wurde allerdings den verantwort­lichen Behörden übergeben.

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